ArbG Emden: Arbeitszeiterfassung? Arbeitsgerichte sind schneller als Gesetzgeber
Urteil vom 20. Februar 2020, Az.: 2 Ca 94/19 Das Arbeitsgericht Emden (ArbG Emden) hat in dem Rechtsstreit u.a. entschieden, dass Arbeitgeber bereits jetzt unmittelbar zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Zeiterfassungssystems verpflichtet sind.
Relevanz: Das Urteil ist für alle Arbeitgeber von Interesse, die die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten bisher nicht systematisch erfassen.
Hintergrund: Ein Bauhelfer war im Jahr 2018 mehrere Wochen lang für seinen Arbeitgeber tätig. Nachdem das Arbeitsverhältnis geendet und der Arbeitgeber bereits 183 Arbeitsstunden vergütet hatte, machte der Bauhelfer u.a. weitere Vergütungsansprüche gerichtlich geltend. Hierfür legte er selbst geführte Aufzeichnungen und sog. „Stundenrapporte“ vor und behauptete, insgesamt 195,05 Arbeitsstunden für seinen ehemaligen Arbeitgeber tätig gewesen zu sein. Sein ehemaliger Arbeitgeber bestritt dies und legte als Nachweis das Bautagebuch vor, in welchem stets Arbeitsbeginn und -ende dokumentiert wurden und für den Bauhelfer lediglich eine Arbeitsleistung von insgesamt 183 Stunden auswies.
Das ArbG Emden hat der Klage des Bauhelfers hinsichtlich der geltend gemachten Vergütungsansprüche stattgegeben und seinen ehemaligen Arbeitgeber zur Zahlung verurteilt.
Das ArbG Emden legte die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in Überstundenprozessen zugrunde. Danach muss zunächst der Beschäftigte konkret die von ihm geleisteten Arbeitsstunden vortragen. Erst danach hat der Arbeitgeber substantiiert zu erklären und darzulegen, welche Arbeiten er dem Beschäftigten zugewiesen hat und an welchen Tagen der Beschäftigte von wann bis wann diesen Weisungen (ggfs. nicht) nachgekommen ist (sog. sekundäre Darlegungslast).
Nach Auffassung des ArbG Emden ist der Bauhelfer seiner Darlegungslast nachgekommen; Der Vortrag des ehemaligen Arbeitgebers habe den vom BAG aufgestellten Anforderungen demgegenüber nicht entsprochen.
Auch wenn eine allgemeine Aufzeichnungspflicht von Arbeitsstunden im deutschen Recht bislang nicht existiert, so folgt die Verpflichtung zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit nach Auffassung des ArbG Emden jedoch unmittelbar aus den unionsrechtlichen Vorschriften. Dies ergibt sich insbesondere aus Art. 31 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (GRCh), welcher jedem Arbeitnehmer der EU das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten gewährt. Dieses Grundrecht werde nach der Rechtsprechung des EuGH durch die Regelungen der EU-Arbeitszeitrichtlinie (Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88/EG) konkretisiert. Die Einhaltung der Arbeitszeitregeln könne nur bei einer vollständigen Erfassung der täglichen und wöchentlichen Arbeitsstunden gewährleistet werden, das ArbG Emden verweist hierzu insbesondere auf das dementsprechende Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019.
Die aus Art. 31 Abs. 2 GRCh folgende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung sei nach Ansicht des ArbG Emden eine vertragliche Nebenpflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB, nach der die Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen verpflichtet seien. Das ArbG Emden ist der Ansicht, dass Arbeitgeber bereits seit der Entscheidung des EuGH vom 14. Mai 2019 zur Einrichtung eines entsprechenden Zeiterfassungssystems verpflichtet sind und es hierfür keine konkrete Umsetzung des EuGH-Urteils durch den deutschen Gesetzgeber bedürfe.