Guten Morgen, ich bin´s, ihr Pflegeroboter!

Was nach Science-Fiction, wie in Filmen „I robot“ und „200 Jahre Mann“ klingt, könnte bald Wirklichkeit werden: Die Frankfurt University of Applied Sciences hat einen Assistenz-Roboter namens „ROSWITHA“ (RObot System WI-TH Autonomy) entwickelt. Dieser Assistenz-Roboter soll Pflegepersonal entlasten und pflegebedürftigen Menschen helfen mehr Aufgaben selbst zu übernehmen. ROSWITHA kann sich autonom in der Wohnung bewegen und auf Aufforderung mit ihrem Greifarm Gegenstände bringen. Weitere mögliche Anwendungsfelder können in Zukunft zum Beispiel die Überwachung von Vitalparametern (Blutdruck, Blutzucker etc.) und die Kommunikation mit Ärzten oder Angehörigen über Telepräsenzschaltung sowie die Freizeitgestaltung bspw. mit Programmen zum Gehirntraining sein.

Spannendes Thema! Doch wie ist der Einsatz von Hilfsrobotern unter Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes zu beurteilen? Was genau ist ROSWITHA?

(Quelle: https://www.medica.de/de/News/Redaktionelle_News/Roboter_ROSWITHA_hilft_Pflegenden)


ROSWITHA als Schutzmaßnahme
Unter dem Aspekt der körperlichen und psychischen Entlastung des Pflegepersonals könnte ROSWITHA eine Schutzmaßnahme darstellen. Schutzmaßnahmen muss der Arbeitgeber ergreifen, denn die Arbeit ist so zu gestalten, dass „eine Gefährdung für die physische und psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird“, § 4 ArbSchG.  
Bei der Festlegung dieser Schutzmaßnahmen hat der Arbeitgeber eine Rangfolge einzuhalten, auch „TOP-Prinzip“ genannt. Danach haben technische Schutzmaßnahmen grundsätzlich Vorrang vor organisatorischen Schutzmaßnahmen, die wiederrum haben Vorrang vor personenbezogenen Schutzmaßnahmen. Technische Schutzmaßnahmen sind alles, was den Menschen von der Gefahr trennt (z. B. durch Kapselung einer gefährlichen Maschine, Absturzsicherungen an Treppen, Absauganlagen, Schutzeinrichtungen an Maschinen, usw.). Unter den Begriff „technische Schutzmaßnahmen“ fallen auch ferngesteuerte Arbeitsmaschinen, wie sie vor allem in der Kampfmittelräumung eingesetzt werden. Bei ROSWITHA könnte es sich um eine Arbeitsmaschine handeln. An dieser Stelle müsste man jedoch schon sehr explizit argumentieren, um ROSWITHA als Schutzmaßnahme zu klassifizieren. Die „Gefahr“ wäre etwa eine Überlastung des Pflegepersonals, hervorgerufen durch den Stress, bestimmte Handlungen wie etwa dem Anreichen eines Getränks für die Patienten, in einer bestimmten Zeit (welche angesichts des Pflegenotstands nie im ausreichenden Maße vorhanden ist) zu erledigen. Die „Trennung“ von Gefahr und Mensch (Pflegepersonal) würde dann die Schutzmaßnahme in Form von ROSWITHA durchführen, welche die „gefährliche“ Handlung (Anreichen des Getränks) statt der Pflegekraft vornimmt. So ganz stimmig ist die Argumentation an dieser Stelle nicht, weswegen wir uns weiter die Frage stellen müssen, was genau ist ROSWITHA?

ROSWITHA als Arbeitsmittel
Wird ROSWITHA von Pflegekräften bei der Arbeit „verwendet“, könnte sie auch ein Arbeitsmittel nach der Betriebssicherheitsverordnung darstellen.  Arbeitsmittel sind nach § 2 Abs. 1 BetrSichV Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen, die bei der Arbeit benutzt bzw. verwendet werden. Der Begriff des „Arbeitsmittels“ aus der Betriebssicherheitsverordnung ist sehr weit gefasst – in der Verordnungsbegründung wird folgendes ausgeführt: „Damit wird klargestellt, dass Arbeitsmittel (…) einfache Handgeräte bis hin zur komplexen verfahrenstechnischen Anlage sein können. Sofern ein Arbeitsmittel von Beschäftigten bei der Arbeit benutzt wird, reicht es damit vom Kugelschreiber bis zur komplexen Fertigungsstraße.“ Vom Kran bis zum Radiergummi fällt also alles unter den Begriff des Arbeitsmittels und somit auch ROSWITHA. ROSWITHA müsste weiterhin bei der Arbeit „verwendet“ werden, um als Arbeitsmittel nach der Betriebssicherheitsverordnung zu gelten. Auch der Begriff des „Verwendens“ ist sehr weit gefasst. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BetrSichV umfasst die Verwendung von Arbeitsmitteln jegliche Tätigkeit mit diesen. Hierzu gehören insbesondere das Montieren und Installieren, Bedienen, An- oder Abschalten oder Einstellen, Gebrauchen, Betreiben, Instandhalten, Reinigen, Prüfen, Umbauen, Erproben, Demontieren, Transportieren und Überwachen. Leider wissen wir nicht genau wie selbstständig ROSWITHA im Rahmen der Erledigung ihrer Aufgaben agiert. Sofern ROSWITHA völlig „autonom“, d. h. nur aufgrund ihrer Programmierung und unabhängig von der An- oder Abwesenheit des Pflegepersonals agiert, mutet es seltsam an zu behaupten, das Pflegepersonal würde ROSWITHA verwenden. Hierunter stellt man sich in der Regel ein aktives Einwirken auf das Arbeitsmittel vor. Doch selbst wenn ROSWITHA völlig autonom handeln würde, könnte der Begriff des „Gebrauchens“ anwendbar sein, welcher ein Synonym für den Begriff des „Nutzens“ darstellt. Das Nutzen eines Arbeitsmittels müsste nach hier vertretener Ansicht auch dann vorliegen, wenn die „Früchte“ des Arbeitsmittels den Beschäftigten auch zufließen, ohne dass der Beschäftigte hierbei direkt mit dem Arbeitsmittel interagiert. An dieser Stelle ist auch zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber vor seine Aufzählung das Wörtchen „insbesondere“ geschoben hat. Damit wird klargestellt, dass die Liste nicht abschließend ist. So kann es sein, dass sich im Laufe der nächsten Jahre herauskristallisiert, dass der Einsatz autonom agierender Roboter das Verwenden eines Arbeitsmittels darstellt. Sobald das Pflegepersonal aktiv auf ROSWITHA einwirkt (z. B. Befehle erteilt) könnte man unproblematisch von einer Verwendung im Sinne der Betriebssicherheitsverordnung ausgehen.

ROSWITHA als Gefährdung

Ohne ROSWITHA zu nahe treten zu wollen: ROSWITHA könnten nicht nur zu einer Erleichterung für das Pflegepersonal führen, sondern auch deren Sicherheit und Gesundheit gefährden. Immerhin sitzt ROSWITHA nicht in einem Käfig und wird abgeschaltet, bevor das Pflegepersonal den Käfig betritt. ROWSWITHA soll sich vielmehr frei bewegen können. Das heißt, ROSWITHA und das Pflegepersonal arbeiten Seite an Seite und teilen sich den Raum (Patientenzimmer und -wohnung) in dem sie ihre Tätigkeit verrichten. Dieses Phänomen nennt sich „Mensch-Maschine-Kollaboration“. Für Arbeitsschützer stellt sich dann die Frage, wie ROSWITHA den Menschen wahrnimmt. Wie ist gewährleistet, dass ROSWITHA die in ihrem Umfeld befindlichen Pflegekräfte nicht verletzt, bspw. durch Anfahren oder Einklemmen. Hält ROSWITHA an, wenn eine Pflegekraft „im Weg steht“ oder ordnet sie ihren Auftrag, wie bspw. „Getränk anreichen“ als höherwertig ein und wird zu einer Stolperfalle? Für die Zuständigen des Arbeitsschutzes wird es eine Herausforderung darstellen, die Pflichten der Betriebssicherheitsverordnung bei der Verwendung von autonomen Robotern wie ROSWITHA zu erfüllen. Ein Industrieroboter mit einem Greifarm führt gleichbleibende Bewegungen aus. Diese Bewegungen können beobachtet und daraus können Schutzmaßnahmen abgeleitet werden. Ein autonomer Roboter dagegen bewegt sich agil und trotz längerer Beobachtung können höchstwahrscheinlich nicht alle möglichen Bewegungsmuster und Reaktionen erkannt werden. Die Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung wird somit -zumindest zu Beginn- recht abenteuerlich und bedarf einer stetigen Überarbeitung. Die Arbeitsschützer sind insofern auf eine tatkräftige Unterstützung der Hersteller angewiesen, etwa in Form von sehr ausführlichen Gebrauchs- bzw. Bedienungsanleitungen und/oder Schulungen.

ROSWITHA als Beschäftigte

Und nun wird es philosophisch: ROSWITHA ist zunächst ein Roboter, welcher darauf programmiert ist, bestimmte Handlungen auszuführen. Was wäre jedoch, wenn ihre Programmierung die Entwicklung eines eigenen Bewusstseins oder sogar eigener Emotionen ermöglichen würde? Bei der Entwicklung eines eigenen Bewusstseins und eigener Emotionen könnte ROSWITHA am Ende gar zu einer „Beschäftigten“ gem. § 2 ArbSchG werden. Beschäftigte nach § 2 ArbSchG sind Arbeitnehmer. Arbeitsrechtlich gesehen läge eine Arbeitnehmereigenschaft vor, wenn ROSWITHA

  1. aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages tätig wird,
  2. von Ihrem Auftraggeber sozial bzw. persönlich abhängig ist,
  3. Anweisungen Ihres Auftraggebers befolgen muss, die sich auf den Inhalt ihrer Tätigkeit beziehen können und/oder auf den Ort und/oder die Zeit der Arbeit,
  4. in den Betrieb ih¬es Auftraggebers eingegliedert ist und
  5. kein eigenes unternehmerisches Risiko trägt.

Zu jeder der oben aufgelisteten Nummer existieren zig Urteile der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, was zeigt, wieviel Auslegungsmöglichkeiten und Streitpotential die verwandten Begrifflichkeiten wie etwa „soziale und persönliche Abhängigkeit“ bieten. Doch bevor man sich in Streitigkeiten darüber verliert, ob ROSWITHA ein eigenes unternehmerisches Risiko trägt oder nicht, wäre zunächst folgende Frage zu beantworten: Kann eine Maschine zum Menschen werden? Juristen knüpfen bei der Frage des Menschseins bzw. der sog. Rechtsfähigkeit eines Menschen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch bislang ausschließlich an biologische Faktoren an, wie etwa die Geburt und der Tod. Die Leibesfrucht ist teilrechtsfähig, mit der Vollendung seiner Geburt wird ein Mensch „voll“ rechtsfähig und mit dem Tode endet die Rechtsfähigkeit weitgehend, bis auf Spezialfälle wie etwa das postmortale Persönlichkeitsrecht. Keine Rechte also für Roboter trotz Bewusstsein? Wer den Film Bladerunner mit der bewegenden Schlussszene auf dem Dach gesehen hat, wird jetzt empört protestieren. Nach dem derzeitigen Stand wäre ROSWITHA -auch mit Bewusstsein- jedoch wohl eher nicht rechtsfähig. Aber wer weiß wie sich die rechtliche Lage entwickelt, wenn irgendwann humanoide Roboter von Mitgliedern des Bundestages mit der Überarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches betraut werden.

Mit diesem Szenario verabschieden wir uns ins Wochenende und versprechen, Sie immer über die neuesten Entwicklungen der Arbeitswelt auf dem Laufenden zu halten.