Hygienepläne und Arbeitsschutzmaßnahmen in Zeiten der Corona-Pandemie – was muss der Arbeitgeber leisten?
Eine Lehrerin einer Frankfurter Grundschule beantragte in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor Gericht angesichts der COVID-19-Pandemie, dem Land Hessen zu untersagen, sie zum Präsenzunterricht heranzuziehen, bis ein hinreichender Hygieneplan und ein hinreichendes Arbeitsschutzkonzept vorgelegt werden.
Das Gericht hat den Antrag abgelehnt. Es verneinte schon die besondere Eilbedürftigkeit. In einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren muss diese besondere Eilbedürftigkeit vorliegen. Besonders eilbedürftig ist ein Rechtsstreit dann, wenn dem Antragsteller ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar ist. Nach Ansicht des Gerichts sei aufgrund der aktuellen Verlautbarungen zu den angestrebten Schulöffnungen und des Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. April 2020 über die Rückkehr der Viertklässlerinnen und Viertklässler an die Grundschulen nicht davon auszugehen, dass bis zu den Sommerferien alle Grundschüler oder zumindest der überwiegende Teil wieder an die Schule zurückkehren werde. Die Wiederaufnahme des Normalbetriebes mit allen Schülern und zusätzlicher Frühbetreuung sei nicht zu erwarten.
Weiterhin war das Gericht der Ansicht, dass an der Schule der Lehrerin unter Gesichtspunkten der Fürsorge und des Arbeitsschutzes Vorkehrungen getroffen worden seien, um eine Gefährdung der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte hinreichend zu minimieren. Durch den am 22. April 2020 veröffentlichten Hygieneplan Corona für die Schulen in Hessen seien konkrete Handlungsanweisungen für ein stufenweises „Anfahren“ des Unterrichts erlassen worden. Dabei habe der Dienstherr den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum, ob und wie eine Wiederaufnahme des Schulbetriebes angesichts der jeweils aktuellen Entwicklung der Pandemie erfolgen kann, in nicht zu beanstandender Weise genutzt. Die Lehrerin könne jedenfalls nicht erwarten, mit einem bis ins letzte Detail ausgefeilten Hygieneplan eine Nullrisiko-Situation in der Schule anzutreffen. Würde man die Erwartung der Lehrerin an einen allumfassenden Gesundheitsschutz in Zeiten einer solchen Pandemie auf alle Bereiche der Daseinsvorsorge – wozu auch Schulen zählten – übertragen, hätte dies einen vollständigen Zusammenbruch der Versorgung der Bevölkerung zur Folge. Die Lehrerin habe als verbeamtete Lehrerin aufgrund ihrer Treuepflicht die den Schulen übertragene Verantwortung gegenüber Schulkindern und Familien mitzutragen.
Die Entscheidung des Gerichts ist noch nicht rechtskräftig. Die Lehrerin kann sich mit einer sog. Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel gegen die Entscheidung wehren.
Fazit:
Anhand dieses Urteils ist eine erste Tendenz der Rechtsprechung zur Frage der Anforderungen an Hygienepläne und Arbeitsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz im Bereich der Daseinsvorsorge zu erkennen. Das Gericht hat die zu erwartende Gefährdung (in diesem Fall gering, da nur stufenweises Anfahren des Unterrichts) mit in seine Abwägung einbezogen. Weiterhin hat es klargestellt, dass es keinen Anspruch auf eine sog. „Nullrisiko-Situation“ am Arbeitsplatz gibt.
Was das Gericht durchaus geprüft hat, war, ob der vorgelegte Hygieneplan und die getroffenen Arbeitsschutzmaßnahmen ausreichend sind. Der hier angelegte Prüfungsmaßstab war, ob zu erwartende Gefährdungen hinreichend minimiert wurden. Diese Anforderung nennt sich „Minimierungspflicht“ und findet sich in § 4 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz. Demnach muss der Arbeitgeber die Arbeit so gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird. Dies gilt für Arbeitgeber auch in Zeiten der Corona-Pandemie.
Was ist zu tun?
Wie Arbeitgeber die Minimierungspflicht in Zeiten der Corona-Pandemie erfüllen können, wird nachfolgend stichpunktartig aufgeführt:
- Ermittlung und Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung durch Sars-Cov 2 (Gefährdungsbeurteilung)
- Festlegung von erforderlichen Schutz- und Hygienemaßnahmen auf Basis dieser Gefährdungsbeurteilung
- Unterweisung der Beschäftigten über die Gefährdungen und erforderlichen Schutz- und Hygienemaßnahmen zu Sars-Cov 2
- Betriebsanweisungen zu Sars-Cov 2 im Betrieb aushängen
- Beachtung von Vorgaben, Empfehlungen, Handlungsanweisungen und Informationen der Berufsgenossenschaften, des RKI, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, usw., zum Umgang mit Sars-Cov 2 am Arbeitsplatz (z.B. Sars-Cov 2 – Arbeitsschutzstandard des BMAS)
Der Arbeitgeber ist weiterhin bei der Planung, Festlegung und Umsetzung von neuen Schutzmaßnahmen und Hygieneplänen aufgrund von Sars-Cov 2 im Betrieb verpflichtet,
- die Beschäftigten in geeigneter Form anzuweisen (§ 4 Nr. 7 ArbSchG),
- sich auf dem neuesten Stand zu halten, denn bei den (Schutz-) Maßnahmen sind der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen (§ 4 Nr. 3 ArbSchG),
- spezielle Gefahren für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen, wie bspw. Beschäftigte, welche einer Risikogruppe angehören, zu berücksichtigen (§ 4 Nr. 6 ArbSchG),
- technische und organisatorische Maßnahmen vor persönlichen Schutzmaßnahmen anzuwenden (§ 4 Nr. 5 ArbSchG),
die festgelegten Schutz- und Hygienemaßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen (§ 3 Abs. 1 ArbSchG), - zur Planung und Durchführung der Schutz- und Hygienemaßnahmen für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen (§ 3 Abs. 2 ArbSchG) sowie
- Vorkehrungen zu treffen, dass die Schutz- und Hygienemaßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können (§ 3 Abs. 2 ArbSchG).