Was Amazon noch darf, soll Tönnies nicht mehr dürfen: Neue Regelungen und Verbote für die Fleischwirtschaft

Der Bundesarbeitsminister Heil hat angekündigt, er wolle in der Fleischbranche „aufräumen“. Die ersten Maßnahmen diesbezüglich wurden vom Bundeskabinett im sog. „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ festgelegt.

Der Debatte im Bundestag waren Berichte über die hohe Zahl von Corona-Infizierten in großen Unternehmen der Schlachtbranche voraus gegangen. Für die rasche Ausbreitung des Virus unter den Mitarbeitern werden vor allem schlechte Unterbringungsbedingungen in Massenunterkünften mit Mehrbettzimmern und die gemeinschaftliche Nutzung von sanitären Einrichtungen verantwortlich gemacht.

Das „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ sieht diverse Regelungen und Verbote vor, wie z. B.:

  • Verbot von Werkverträgen
  • Verbot von Leiharbeit
  • Höhere Bußgelder bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz (bis zu 30.000 €)
  • Verpflichtung, Arbeitszeiten digital zu erfassen
  • Verdichtung der Kontrollen von Fleischbetrieben und Unterbringungen der Beschäftigten

Einmalig ist, dass diese Verbote und Regelungen explizit an eine bestimmte Branche anknüpfen, d. h. nur Unternehmen der Fleischwirtschaft betreffen sollen. Würden die oben genannten Punkte als Gesetz verabschiedet werden, bedeutet dies, dass Unternehmen der Fleischwirtschaft bestimmte Instrumentarien, wie bspw. die Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr nutzen können. Weiterhin dürfen sie ihre Unternehmen nur noch mit abhängig Beschäftigten betreiben und nicht mehr unter der Zuhilfenahme von Selbstständigen, welche im Rahmen eines Werkvertrages tätig sind.

Die Interessenvertretung der Fleischindustrie, u. a. der Verband der Geflügelwirtschaft, halten die anvisierten Regelungen und Verbote für verfassungswidrig. Die Fleischindustrie werde damit diskriminiert, denn anderen Unternehmen, wie bspw. Amazon, werde es weiterhin ermöglicht, Werksunternehmer und Leiharbeiter einzusetzen.
Diese Ungleichbehandlung wird nicht nur von der Fleischindustrie in Frage gestellt. Bereits in der Regierungspressekonferenz vom 18. Mai 2020 wurde dem Pressesprecher des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Herr Dominik Ehrentraut, folgendes gefragt:

„Wenn man sich jetzt die Werkverträge ansieht und sie auf die Schlachthöfe bezieht, dann wäre doch eigentlich die logische Konsequenz, dass man diesen Ansatz dann auch auf alle anderen Bereiche überträgt, also vom Erntehelfer bis zum Bausektor. Ist das auch das Anliegen Ihres Ministers?“

Die Antwort von Herrn Ehrentraut lautete:
„Exakt dieselbe Frage hat er heute schon gestellt bekommen. Auch ich bitte hier um Verständnis, dass wir Details, die innerhalb der Bundesregierung besprochen werden, jetzt nicht öffentlich diskutieren können. Ich bitte darum, die Gespräche und dann auch die entsprechenden Ergebnisse abzuwarten.“

Interessant war, dass im Rahmen der Pressekonferenz auch ein Aspekt angesprochen wurde, welcher in der Debatte um die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, bislang eher stiefmütterlich behandelt wird. Nämlich, inwieweit das Verhalten der Verbraucher Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Fleischindustrie habe.

Die Frage diesbezüglich lautete:
„Ich möchte einmal den Fokus auf die Verbraucherseite richten. Wenn ich es richtig sehe, hat Herr Heil in dem Pressestatement zuallervorderst die Verantwortung bei den Fleischbetrieben und der Branche gesehen, aber dann auch Bund und Länder in die Pflicht genommen. Mich würde interessieren: Wie sehen denn die Bundesregierung, das Arbeitsministerium oder auch das zuständige Landwirtschaftsministerium die Verantwortung oder den Beitrag der Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich an niedrige Fleischpreise gewöhnt haben und sie vielleicht auch erwarten? Umgekehrt die Frage: Ist denn eine Regulierung auch über den Preis denkbar? Es gibt ja auch schon die Forderung eines Mindestpreises.“

Die Antwort von Herrn Ehrentraut lautete:
„Ich möchte gern, dass wir uns nur darauf konzentrieren, was wir als BMAS regeln können. Das ist der Arbeitsschutz. Das ist die Sache von Vertragsregelungen. Darauf würde ich mich gern konzentrieren. Darauf konzentriert sich auch der Minister.“

Anhand dieses kurzen Ausschnitts der Pressekonferenz ist zu sehen, dass das „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ gesellschaftspolitischen Sprengstoff bietet. Sowohl verfassungsrechtliche Fragen, wie die Frage nach der Ungleichbehandlung von Branchen, als auch gesellschaftspolitische Fragen, welche das Konsumverhalten des Einzelnen betreffen, werden voraussichtlich in den nächsten Tagen heiß diskutiert. Ob das Bundeskabinett jeden Punkt des „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ in der geplanten Form durchsetzen kann, ist fraglich. Wir halten Sie auf dem Laufenden.