EuGH: Die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen ein Verhalten eines Netzbetreibers ist nicht von dem unmittelbaren Anschluss an das von ihm betriebene Netz abhängig
Urteil vom 8. Oktober 2020, Az.: C-360/19
In dem vorstehenden Rechtsstreit zwischen einer niederländischen Papierfabrik und dem deutschen Übertragungsnetzbetreiber Tennet hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass ein Kunde gegen den Betreiber des nationalen Stromnetzes wegen eines Stromausfalls Beschwerde einlegen kann. Die Beschwerde kann nicht schon deshalb zurückgewiesen werden, weil die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an das nationale Stromnetz, sondern nur an ein vom nationalen Netz gespeistes regionales Netz angeschlossen ist.
Relevanz: Das Urteil ist von Interesse, da es klarstellt, dass die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bei Störungen oder Unterbrechungen in der Stromversorgung nicht nur gegen den vorgelagerten Netzbetreiber möglich ist. Sollte die Ursache für die Störung in dem wiederum vorgelagerten Übertragungsnetz gelegen haben, so ist eine Inanspruchnahme nicht deswegen ausgeschlossen, weil kein unmittelbarer Anschluss an das Netz oder Verträge mit dem Übertragungsnetzbetreiber bestehen.
Hintergrund: Aufgrund einer Störung in einem niederländischen Umspannwerk, das zum von der Tennet TSO betriebenen Hochspannungsnetz gehört, war in einem Teil der Niederlande die Stromversorgung für mehrere Stunden unterbrochen. Hiervon war u.a. auch eine in diesem Gebiet ansässige Papierfabrik betroffen. Die Fabrik ist an das von der Liander NV betriebene Verteilungsnetz angeschlossen. Dieses Netz wird aus dem von der Tennet betriebenen Netz gespeist.
Der Betreiber der Papierfabrik machte geltend, durch die Störung im Netz der Tennet einen Schaden erlitten zu haben, und legte bei der niederländischen Regulierungsbehörde Beschwerde ein, gerichtet auf die Feststellung, dass die Tennet nicht alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, um den Stromausfall zu verhindern, und dass die Netzstruktur des Umspannwerks nicht den gesetzlichen Anforderungen genüge.
Zunächst hatte die niederländische Regulierungsbehörde die Beschwerde für unzulässig gehalten und das Begehren der Papierfabrik zurückgewiesen, da diese keine unmittelbare Vertragsbeziehung mit der Tennet habe und auch kein unmittelbarer Anschluss an das Netz der Tennet bestehe. Das sodann angerufene niederländische Berufungsgericht für Wirtschaftsverwaltungssachen beschloss aber, den EuGH in der Angelegenheit zu befragen. Klärungsbedürftig war eine Formulierung in der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie (RL 2009/72/EG) wonach „jeder Betroffene, der in Bezug auf die von einem Betreiber im Rahmen dieser Richtlinie eingegangenen Verpflichtungen eine Beschwerde gegen einen Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber hat, […] damit die Regulierungsbehörde befassen [kann], […]“.Vor dem Hintergrund dieser Formulierung war zu klären, ob die Beschwerde eines Endkunden gegen den Betreiber eines Stromnetzes wegen einer Störung dieses Netzes mit der Begründung zurückgewiesen werden kann, dass die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an dieses nationale Netz, sondern nur an ein vom nationalen Netz gespeistes regionales Netz angeschlossen sei. Hierzu hat der EuGH klargestellt, dass im Grunde zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um sich gemäß der RL 2009/72/EG hinsichtlich der Rüge einer Pflichtverletzung des Netzbetreibers an die Regulierungsbehörde richten zu können. Das Bestehen einer unmittelbaren Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem Netzbetreiber sei keine dieser zwei Voraussetzungen. Die Formulierung Begriff „Betroffener, der […] eine Beschwerde […] hat“ könne nicht derart ausgelegt werden, dass eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem von der Beschwerde betroffenen Netzbetreiber voraussetzt werde. Die Zurückweisung durch die Regulierungsbehörde ist daher nach der Entscheidung des EuGHs nicht zulässig gewesen.