#RGCfragtnach: Interview mit Dr. Paul Barchewitz von EWE NETZ über die kommenden Anforderungen des Redispatch 2.0.

In diesem #RGCfragtnach spricht Dr. Franziska Lietz mit Dr. Paul Barchewitz von EWE NETZ über die kommenden Anforderungen des Redispatch 2.0.

Lietz: Hallo, in diesem #RGCfragtnach spreche ich mit Dr. Paul Barchewitz. Er ist bei EWE NETZ für die Kommunikation des neuen Redispatch 2.0 verantwortlich und berichtet mir über die kommenden Anforderungen des Redispatch 2.0.

Viele Industrieunternehmen werden ab dem 1.10.2021 neue Pflichten nach dem neuen Redispatch-Regime haben, denn dieses erfasst generell alle Erzeugungsanlagen ab 100 kW sowie kleinere steuerbare Anlagen.

Herr Dr. Barchewitz, vielen Dank, dass Sie Zeit für dieses Interview haben. Könnten Sie uns als erstes sagen, was sich mit dem Redispatch 2.0 generell gegenüber dem bisherigen Redispatch/EinsMan ändern wird?

Barchewitz: Der zentrale Unterschied zum bisherigen Einspeisemanagement ist, dass im Redispatch 2.0 der Eingriff in die Erzeugungsleistung der Anlage auf Basis von Prognosen erfolgt und deshalb zwischen den Netzbetreibern vorab abgestimmt werden kann. Im Einspeisemanagement ging es nur um die kurzfristige Behebung von Netzengpässen. Der Gesetzgeber verspricht sich von dieser Neuerung, dass Dauer und Häufigkeit der Einsätze sinken.

Um diese Prognosen zu ermöglichen, müssen Anlagenbetreiber und Netzbetreiber zukünftig umfangreich Daten austauschen – per elektronischer Marktkommunikation und zum Teil sogar in Echtzeit. Das heißt konkret: Datenaustausch per Post oder E-Mail ist nicht mehr erlaubt.

Darüber hinaus stellen wir als Netzbetreiber im Redispatch 2.0 auch den energetischen und bilanziellen Ausgleich sicher. So ist zukünftig neben dem bisher rein finanziellen auch der bilanzielle Ausgleich des betroffenen Direktvermarkters sichergestellt – natürlich nur, wenn die entsprechende Anlage auch in der Direktvermarktung ist.

Lietz: In einem ersten Schritt müssen die Anlagenbetreiber bis zum 1.6. die Verantwortlichkeiten für Ihre Anlage benennen. Konkret bedeutet das, einen sog. Einsatzverantwortlichen (EIV) und einen Betreiber technischer Ressourcen (BTR) zu benennen und dem Netzbetreiber mitzuteilen. Welche Bedeutung haben diese beiden Rollen und was sollten Anlagenbetreiber Ihrer Ansicht nach bei der Benennung beachten?

Barchewitz:
Das ist korrekt. EIV und BTR sind zwei neue Marktrollen, die mit uns zusammen den Redispatch 2.0 managen.

  • Einsatzverantwortlicher (EIV):
    Der EIV kümmert sich um die Daten vor einer Redispatch-Maßnahme. Er übermittelt uns zum Beispiel die Stammdaten sowie die Prognosen der Anlage und kümmert sich im Aufforderungsfall auch um die korrekte Durchführung der Redispatch-Anforderung.
  • Betreiber der technischen Ressource (BTR):
    Der BTR sendet uns die Abrechnungsdaten nach der Redispatch-Maßnahme. Damit können wir den Ausfall der Anlage abrechnen.

Die Bundesnetzagentur hat die Rollen getrennt, damit Anlagenbetreiber diese Rollen auch an unterschiedliche Experten für Energiedaten abgeben können. So kann zum Beispiel der Direktvermarkter der EIV werden und Ihr Abrechnungsdienstleister kann die Rolle des BTR übernehmen.

Zwar können Anlagenbetreiber diese Rollen auch selbst wahrnehmen, wir raten davon aber ab: EIV und BTR müssen eine Reihe von automatisierten Datenaustauschprozessen innerhalb kurzer zeitlicher Fristen beherrschen, was entsprechende Software, Hardware und die notwendigen IT-Zertifikate erfordert. Sie müssen die Use-Cases sowie die Datenlieferpflichten nach den BNetzA Festlegungen BK6-20-059 und BK6-20-061 kennen und abwickeln können – zum Teil 24 Stunden am Tag. Doch damit nicht genug: Die Vorgaben/Prozessleitfäden des BDEW müssen diese Marktrollen auch kennen und umsetzen.


Lietz:
Dann müssen die Anlagenbetreiber zwischen verschiedenen Teilnahmemodellen wählen. Eines davon ist die Wahl des Bilanzierungsmodells, d.h. der Anlagenbetreiber muss sich entscheiden, ob er das sog. Prognosemodell wählt, bei dem der Netzbetreiber den Fahrplan prognostiziert, oder ob er sich für das Planwertmodell entscheidet, bei dem er selbst Prognosen abgeben muss. Gibt es aus Netzbetreiber-Sicht wichtige Punkte, die bestimmte Anlagenbetreiber bei dieser Wahl beachten sollten?

Barchewitz: Auf jeden Fall sollten alle fahrplanfähigen Anlagen, die nicht abhängig vom Dargebot sind, das Planwertmodell wählen – so sind z.B. KWKG-Anlagen sind im Planwertmodell besser aufgehoben als im Prognosemodell. Ansonsten muss der Netzbetreiber eine Prognose über ein Kraftwerk abgeben, dessen Fahrweise und Dampfproduktionsstrategie er nicht kennt. Das wäre weder für den Anlagenbetreiber noch für den Netzbetreiber erfreulich.

Lietz: Ebenfalls wählen muss der Anlagenbetreiber, ob die Anlage auf Aufforderung von ihm selbst geregelt wird, oder – wie im bisherigen EinsMan üblich – die Regelung durch den Netzbetreiber geduldet wird. Gibt es hier Besonderheiten zu beachten? Wie sollten sich Anlagenbetreiber entscheiden, die bereits jetzt die Regelung durch den Netzbetreiber im Rahmen des Einspeisemanagements dulden?

Barchewitz: Wir sehen hier im Regelfall die Vorteile des Duldungsfalls: Das Verfahren ist erprobt, die Steuerungstechnik des Netzbetreibers ist verbaut, die relevanten Reaktionsfristen können durch den Netzbetreiber ohne weiteres sichergestellt werden. Im Aufforderungsfall muss der EIV erst eigene Steuerungstechnik verbauen und seine Reaktionszeiten nachweisen. Aus Netzbetreiber-Sicht sehen wir da im Regelfall keinen Vorteil für den Anlagenbetreiber. Etwas anderes mag bei sehr sensiblen Turbinen oder ähnlichem gelten, wo die Steuerung durch den EIV Kundenvorteile bringen kann.

Lietz: Einige Anlagenbetreiber wurden bislang weder in den Redispatch noch in das EinsMan einbezogen und verfügen nicht über Steuerungseinrichtungen. Wie gehen Sie aktuell mit diesen Anlagenbetreibern um? Gibt es zeitliche Engpässe bei der Nachrüstung?

Barchewitz: Solche Fälle sind uns nicht bekannt. Die Vorhaltung einer adäquaten Steuerungstechnik war schließlich in der Vergangenheit schon Voraussetzung für die Zahlung der Einspeisevergütung.

Lietz: Auch der Umgang mit der Ausfallarbeit wird künftig für die Anlagenbetreiber deutlich komplizierter. Was ändert sich und was sollten Anlagenbetreiber hier sinnvollweise zum Zweck der reibungslosen Abwicklung unternehmen?

Barchewitz: 
Wenn sich der Anlagenbetreiber einen fähigen BTR sucht, wird das Verfahren nicht komplizierter, sondern deutlich digitaler und einfacher. Das spart Kosten auf allen Seiten. Sämtliche Abrechnungsdaten, sogar die Wetterdaten bei Wind und PV, erhalten wir zukünftig auf elektronischem Weg vom BTR. Dann ermitteln wir die Ausfallarbeit, stimmen dieses Ergebnis auf elektronischem Weg mit dem BTR ab und nutzen die ermittelte Ausfallarbeit für den bilanziellen und monetären Ausgleich. Am Schluss kommt dann eine Gutschrift für den Anlagenbetreiber ins Haus. Das Schreiben von Rechnungen fällt für den Anlagenbetreiber komplett weg – zumindest bei EWE NETZ. Wir sehen da klare Kundenvorteile des neuen Regimes.

Lietz:
Viele Industrieunternehmen betreiben wärmegeführte BHKW, die bislang noch nicht vom Netzbetreiber geregelt wurden. Diese Unternehmen prüfen gerade, wie sie sich auf den Redispatch 2.0 vorbereiten können, damit möglichst wenig Beeinträchtigungen ihrer Produktion drohen. Welche Rolle werden wärmegeführte BHKW voraussichtlich im Redispatch 2.0 bzw. in der Rangfolge spielen? Welche Faktoren werden hierbei berücksichtigt?

Barchewitz: Wärmegeführte BHKW werden in den Redispatch aufgenommen. Allerdings kann der Anlagenbetreiber über seinen EIV eine so genannte Wärme-Besicherungsscheibe anmelden. Damit können Sie die Kosten einer Abregelung des Kraftwerkes auch für den Dampfteil transparent machen. Das dürfte dazu führen, dass diese Kraftwerksscheiben erst vergleichsweise spät zum Redispatch herangezogen werden, da es typischerweise günstigere Alternativen aus Sicht des Netzbetreibers gibt. Diesen Vorteil kann der Anlagenbetreiber nur im Planwertmodell realisieren. Aber das passt ja gut zu Ihrer Frage zum Planwertmodell von vorhin.

Lietz:
Vielen Dank für die spannenden Informationen und das Interview, Herr Dr. Barchewitz!