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Der Mord als Arbeitsunfall?

Unter bestimmten Umständen kann ein Mord ein Arbeitsunfall sein.

Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ist in der Regel erforderlich, dass die Tätigkeit des Beschäftigten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang). Die Tätigkeit muss außerdem zu dem Unfallereignis geführt haben (Unfallkausalität) und einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) haben. 

Dieser innere Zusammenhang kann nach der Rechtsprechung auch dann vorliegen, wenn der Beschäftigte einem vorsätzlichen Angriff zum Opfer fällt. 

In Jahr 2015 trug sich folgender Fall zu:

Ein Taxifahrer unterhielt sich mit Kollegen am Taxistand. Dann näherten sich zwei laut schreiende Männer. Der Taxifahrer bat diese, etwas leiser zu sein. Daraufhin zog einer der Männer eine Pistole und zielte auf Kopf und Bauch des Taxifahrers. Getroffen wurde der Taxifahrer von einem Projektil knapp oberhalb des Bauchnabels. 

Die Berufsgenossenschaft wollte dieses Geschehen nicht als Arbeitsunfall anerkennen. Das Sozialgericht sowie der 9. Senat des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) gaben dem Taxifahrer jedoch Recht und bejahten einen versicherten Arbeitsunfall. Der Taxifahrer habe einen störungsfreien Taxibetrieb sicherstellen wollen. Potentielle Kunden sollten nicht durch Lärm abgeschreckt werden. Damit habe er aus betriebsbezogenen Gründen gehandelt. Zwischen dem Angriff und der versicherten Tätigkeit bestand somit ein innerer Zusammenhang.

Gefährdungsbeurteilung für Bleistifte und Radiergummi?

Und ist das Werkzeug noch so klein, so kann es doch gefährdend sein. Das klingt vielleicht etwas übertrieben, dennoch: Die Betriebssicherheitsverordnung gilt ausnahmslos für die Verwendung aller Arbeitsmittel.

Arbeitsmittel sind nach § 2 Abs. 1 BetrSichV Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen, die bei der Arbeit  benutzt werden. 
Die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) gibt dem Arbeitgeber eine Reihe an Pflichten auf, wenn dieser Arbeitsmittel von Beschäftigten verwenden lässt. Zu diesen Pflichten gehören bspw. die Gefährdungsbeurteilung, die Unterweisung und zur Verfügung stellen von Betriebsanweisungen. Doch gelten diese Pflichten für jedes im Betrieb verwandte Arbeitsmittel? Dies würde bedeuten, dass für jeden Schraubenschlüssel, Radiergummi und Bleistift eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden müsste. Da dies einen Betrieb sprichwörtlich außer Gefecht setzen würde, stellt sich die Frage, für welche Arbeitsmittel eine Grenze gezogen werden kann.  
Eingrenzung nach der BetrSichV möglich? 
Die BetrSichV hilft auf den ersten Blick nicht weiter, da diese bei dem Begriff „Arbeitsmittel“ keine Eingrenzung vornimmt. Im Gegenteil, in der Verordnungsbegründung wird folgendes ausgeführt:
„Damit wird klargestellt, dass Arbeitsmittel (…) einfache Handgeräte bis hin zur komplexen verfahrenstechnischen Anlage sein können. Sofern ein Arbeitsmittel von Beschäftigten bei der Arbeit benutzt wird, reicht es damit vom Kugelschreiber bis zur komplexen Fertigungsstraße.“ 
Auf den zweiten Blick findet sich jedoch zumindest an einer Stelle eine Erleichterung für den Arbeitgeber. § 12 Abs. 2 BetrSichV sieht folgendes vor: 
„Bevor Beschäftigte Arbeitsmittel erstmalig verwenden, hat der Arbeitgeber ihnen eine schriftliche Betriebsanweisung für die Verwendung des Arbeitsmittels in einer für die Beschäftigten verständlichen Form und Sprache an geeigneter Stelle zur Verfügung zu stellen. Satz 1 gilt nicht für Arbeitsmittel, für die keine Gebrauchsanleitung nach § 3 Absatz 4 des Produktsicherheitsgesetzes mitgeliefert werden muss.“
Hier wird deutlich, dass der Verordnungsgeber bei Arbeitsmitteln doch differenziert und zwar bei solchen, für welche die Lieferung einer Gebrauchsanweisung entbehrlich ist.  Gebrauchsanleitungen sind gem. § 3 Abs. 4 ProdSG grundsätzlich mitzuliefern, wenn bei der Verwendung, Ergänzung oder Instandhaltung eines Produkts bestimmte Regeln zu beachten sind, um den Schutz von Sicherheit und Gesundheit zu gewährleisten. Arbeitsmittel, für die dies nicht gilt, sind oftmals auch Arbeitsmittel, bei denen die sog. „Vereinfachte Vorgehensweisen“ nach § 7 BetrSichV möglich ist. Nach der Verordnungsbegründung sind dies z.B. Werkzeuge und Geräte wie Handsägen, Zangen, Bolzenschneider, Wagenheber, aber auch einfache kraftbetriebene Verbraucherprodukte wie Akkuschrauber und Bohrmaschinen
Die Entbehrlichkeit einer Gebrauchsanweisung könnte also ein Anknüpfungspunkt sein, um Arbeitsmitteln zu unterteilen. Doch man ahnt es schon, allein auf dieses Kriterium abzustellen wäre fehleranfällig. Denn bisweilen kann es vorkommen, dass Hersteller schlicht keine Gebrauchsanleitung mitliefern, obwohl dies erforderlich wäre.
Ein weiteres Abgrenzungskriterium könnte sein, ob das Arbeitsmittel auch allgemein im privaten Bereich bzw. im Haushalt genutzt werden kann. Doch auch dieses Kriterium kann in bestimmten Fällen nicht funktionieren. Wenn es bspw. zu Gefährdungen aufgrund von Wechselwirkungen zwischen besonderen betrieblichen Gefahren und der Verwendung eines haushaltsüblichen Werkzeugs kommt. 
Fazit:
Lässt ein Unternehmen Arbeitsmittel durch Beschäftigte verwenden, sollte nicht vorschnell angenommen werden, dass die Pflichten der BetrSichV nicht auf das Arbeitsmittel anwendbar sind. Die BetrSichV gilt grundsätzlich für alle Arbeitsmittel. Wenn allerdings von der Verwendung des Arbeitsmittels keine relevanten Gefährdungen ausgehen und daher anzunehmen ist, dass es sich um ein geeignetes Arbeitsmittel i.S.d. BetrSichV handelt, kann es vertretbar sein, bspw. von der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung abzusehen. Der Arbeitgeber muss also im Einzelfall entscheiden, welche Arbeitsmittel ein weiteres Tätigwerden erfordern und welche nicht. Diese Entscheidung muss umsichtig getroffen werden. Der Maßstab der Entscheidung sollte immer die Gewährleistung der Sicherheit der Beschäftigten sein.

Haftung der Fachkraft für Arbeitssicherheit

Wenn es zu einem Arbeitsunfall kommt, stellen sich Fachkräfte für Arbeitssicherheit nach dem ersten Schreck oftmals die Frage, ob sie sich eventuell (auch) haftbar gemacht haben.

Die Fachkräfte für Arbeitssicherheit (im Folgenden: FaSi) spielen zwar eine wichtige Rolle im betrieblichen Arbeitsschutz. Nach dem Gesetz sind für den Schutz der Arbeitnehmer jedoch der Arbeitgeber und die in § 13 Abs. 1 ArbSchG genannten Personen (z.B. „Betriebs- und Unternehmensleiter“) verantwortlich. Das heißt, eine Haftung der FaSi kommt nicht allein deswegen Betracht, weil im Betrieb die (nicht zutreffende) Meinung vorherrscht, die FaSi sei für den Arbeitsschutz verantwortlich. 

1. Haftung der FaSi 
Eine Haftung kommt vielmehr nur in Betracht, wenn die FaSi die ihr obliegenden Aufgaben mangelhaft oder nicht erfüllt. Die Aufgaben der FaSi sind in § 6 des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) festgehalten.
Nach § 6 ASiG ist die FaSi u.a. zur Erfüllung folgender Aufgaben verpflichtet:
  • Der Arbeitgeber und die sonst für den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung verantwortlichen Personen sind zu beraten. Die einzelnen Beratungsgegenstände sind in § 6 Nr. 1 a – e ASiG aufgeführt. Bspw. soll die FaSi  bei der Planung, Ausführung und Unterhaltung von Betriebsanlagen und von sozialen und sanitären Einrichtungen beratend tätig werden. 
  • Betriebsanlagen und die technischen Arbeitsmittel (insbesondere vor der Inbetriebnahme) und Arbeitsverfahren (insbesondere vor ihrer Einführung) sind sicherheitstechnisch zu überprüfen. 
  • Die Arbeitsstätte soll regelmäßig begangen werden und dort festgestellte Mängel sollen dem Arbeitgeber mitgeteilt werden. 
  • Maßnahmen zur Beseitigung dieser Mängel sollen dem Arbeitgeber vorgeschlagen und auf deren Durchführung hingewirkt werden. 
In einem Gerichtsverfahren (OLG Nürnberg, Urteil vom 17.06.2014 – Az. 4 U 1706/12) wurde über die Haftungsfrage einer externen FaSi gestritten. Die FaSi hatte einen technischen Mangel einer Pappkartonstanze nicht erkannt. Die Pappkartonstanze hatte einen zu hohen Einzugsschlitz und der Walzenabstand war zu gering. Zudem fehlte eine Lichtschranke, die bei einem Hineingreifen in die Walzen zu einer automatischen Abschaltung geführt hätte. Es fehlte außerdem eine Haube, die ein Hineingreifen verhindert hätte. Der Notschalter der Maschine befand sich seitlich an der Maschine und war nicht erreichbar. Die Pappkartonstanze entsprach somit nicht den vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen nach der Maschinenrichtlinie. 
Ein Beschäftigter verfing sich mit seiner rechten Hand in der „Riffelwalze“, als er Kartonagen in das Walzwerk der Maschine einführte. Dadurch wurde die Hand in die Maschine eingezogen, circa fünf Minuten den Stanzbewegungen dieser Maschine ausgesetzt und partiell skelettiert. Bei seinem Versuch, die rechte Hand aus der Maschine zu befreien, wurde auch die linke Hand des Beschäftigten partiell in den sogenannten „Einschub“ der Maschine eingezogen und ebenfalls nicht unbedeutend verletzt.
Sowohl der Hersteller der Pappkartonstanze als auch die FaSi wurden verurteilt, der Berufsgenossenschaft die durch den Unfall hervorgerufenen Schäden zu ersetzen. Die externe FaSi hatte nach Ansicht des Gerichts ihre vertragliche Sorgfaltspflicht bei der Untersuchung der Pappkartonstanze schuldhaft verletzt und daher den Unfall mitverursacht. Die FaSi hätte bei sorgfältiger Untersuchung der Pappkartonstanze die Mängel erkennen können, denn sie seien offenkundig gewesen. Bei einem entsprechenden Hinweis an den Arbeitgeber hätte dieser die Maschine abgeschaltet und der Unfall wäre vermieden worden. Stattdessen hatte die FaSi dem Arbeitgeber zwei Wochen vor dem Unfall folgendes mitgeteilt:
„(…) im Ergebnis der Begehung geben wir Ihnen unsere Einschätzungen und notwendigen Empfehlungen: Bei der Begehung traten keine arbeitssicherheits-technischen Aspekte auf.“
2. Haftungserleichterung für die FaSi
In den Normen des SGB VII finden sich sog. Haftungsprivilegien. Nach § 104 Abs. 1 SGB VII haftet der Arbeitgeber für Personenschäden, die ein Arbeitsunfall verursacht hat, nur, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat. 
Das Haftungsprivileg gilt auch für Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen. Sie sind diesen zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben. Wird der Arbeitsunfall also bspw. durch einen Kollegen verursacht, ist dieser zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat, § 105 Abs. 1 SGB VII. 
Ziel dieser Haftungsprivilegien ist es, den Betriebsfrieden nach Arbeitsunfällen zu wahren. Das Arbeitsverhältnis soll nicht durch Rechtsstreitigkeiten gestört werden. Weiterhin soll dem Arbeitgeber, der die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung trägt, eine gewisse Haftungserleichterung eingeräumt werden.
Sollte die FaSi eine Aufgabe nach § 6 ASiG nicht oder nur mangelhaft erfüllt haben und kam es aufgrund dessen zu einem Arbeitsunfall, wird im letzten Schritt geprüft, ob der FaSi eine Haftungserleichterung nach § 105 Abs. 1 SGB VII zugutekommt. Kann das Haftungsprivileg bejaht werden, haftet die interne FaSi nur für vorsätzliche Pflichtverletzungen, da sie als Schädiger mit dem Geschädigten im selben Betrieb (Kollege), oder auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig ist. 
Für eine externe FaSi sieht es dagegen etwas düsterer aus. Das OLG Nürnberg nahm im oben geschilderten Fall keine vorsätzliche sondern nur eine fahrlässige Verursachung des Unfalls an. Dies hatte zur Folge, dass der Arbeitgeber aufgrund des Haftungsprivilegs nicht für die Unfallfolgen einstehen musste. Der externen FaSi stand dieses Privileg nach Ansicht der Richter jedoch nicht zu. Als externer Berater sei sie nicht in demselben Betrieb tätig gewesen. Auch eine gemeinsame Betriebsstätte habe vorgelegen. Die Fachkraft sei als Dienstleister engagiert worden, und damit vergleichbar mit einem Handwerker oder sonstigen Dienstleister, der keine betriebliche Arbeit ausführt sondern lediglich in den Räumlichkeiten des Betriebs tätig ist. 
Fazit
Eine „interne“ FaSi (ein Arbeitnehmer aus dem Betrieb) haftet, wenn sie die Aufgaben nach § 6 ASiG nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt. Bei fahrlässiger Verursachung ist sie jedoch wie der Arbeitgeber privilegiert und damit von der Haftung befreit.
Eine „externe“ FaSi kann sich nicht auf dieses Haftungsprivileg berufen. Sie sollte daher genau darauf achten, welche Pflichten in dem Vertrag mit dem Unternehmen festgehalten wurden. Im oben geschilderten Fall war die externe FaSi der Ansicht, die Prüfung der Maschine sei nicht Bestandteil ihres Auftrags gewesen. Dies ordnete das Gericht anders ein, da im Vertrag  hinsichtlich des Aufgabengebietes auf § 6 BGV A6 Bezug genommen wurde. Zu ihren Aufgaben zählte es demnach insbesondere, die technischen Arbeitsmittel zu überprüfen. Selbst wenn die Prüfung nicht Vertragsbestandteil gewesen wäre, so das Gericht, hätte die FaSi den Vertragspartner eindeutig darauf hinweisen müssen. 
Der Arbeitgeber kann sich seiner Verantwortung für die Sicherheit seiner Beschäftigten nicht durch die Übertragung von Arbeitsschutzpflichten auf Fachkräfte für Arbeitssicherheit entledigen. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um interne oder externe FaSi´s handelt. 
Workshops:
Die gesetzlichen Regelungen zur Haftung werfen weiterhin viele Fragen auf. Zu diesem Thema bieten wir u.a. den Workshop: „Compliance und persönliche Haftungsrisiken“ an. Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier

Helmpflicht beim Toilettengang?

Das SG München beschäftigte sich mit der Frage, ob ein Sturz während des Gangs zur Toilette im Homeoffice als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.

Ein im Homeoffice befindlicher Beschäftigter stürzte auf dem (Rück-) Weg von der Toilette zu seinem Homeoffice-Arbeitsplatz auf der Treppe und erlitt dabei eine Fraktur des linken Fußes. 

Die Berufsgenossenschaft wollte den Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkennen und behauptete, ein Toilettengang sei nicht versichert, weil er allgemein auf einem persönlichen Bedürfnis beruhe, das in keiner besonderen Beziehung zum Beschäftigungsverhältnis stehe. Versichert sei der Weg zur Toilette nur auf der Betriebsstätte des Arbeitgebers selbst. Zum Unfallzeitpunkt habe der Beschäftigte eine eigenwirtschaftliche und damit nicht versicherte Tätigkeit ausgeübt.

Der dagegen eingelegte Widerspruch und die erhobene Klage des Beschäftigten blieben ohne Erfolg. Das Sozialgericht (SG) München sah den Unfall ebenfalls nicht als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII an. 

Was ist ein Arbeitsunfall?

Arbeitsunfälle sind die Unfälle, die versicherte Personen, wie bspw. Beschäftigte, infolge der versicherten Tätigkeit erleiden. Der Arbeitsunfall setzt also immer einen ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit voraus.

Nach dem SG München hatte der Beschäftigte zwar einen Unfall und dadurch unstreitig einen Gesundheitserstschaden erlitten. Er war auch als Beschäftigter kraft Gesetzes versichert. Seine Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses – das Hinabsteigen der Treppe – stehe aber nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit. Dies begründete das SG München wie folgt:

1. Der Treppengang war keine versicherte Tätigkeit

Nach dem SG München hatte der Beschäftigte zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit ausgeübt. Eine versicherte Tätigkeit hätte vorgelegen, wenn er die Treppe im Unfallzeitpunkt benutzt hätte, um damit einer (vermeintlichen) Haupt- oder Nebenpflicht aus seinem Arbeitsverhältnis nachzukommen. Er handelte jedoch allein im eigenen Interesse auf dem Weg zu einer höchstpersönlichen Verrichtung.

2. Die Treppe war zum Unfallzeitpunkt kein Betriebsweg

Das SG München war weiter der Ansicht, dass sich der Beschäftigte zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem „Betriebsweg“ befunden hat. Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen. 

Im Homeoffice bzw. im häuslichen Bereich gilt ein Weg als Betriebsweg, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausüben wollte, die dem Arbeitgeber bzw. dem unmittelbaren Betriebsinteresse dient

Der Gang von der Toilette zurück zum Homeoffice-Arbeitsplatz dient nach Ansicht des SG München nicht dem unmittelbaren Betriebsinteresse. Auch wenn der Beschäftigte auf seinem Homeoffice-Arbeitsplatz eine Arbeit für den Arbeitgeber ausübt, so gehört der Rest der Wohnung allein zur häuslichen Lebenssphäre. Auch der Umstand, dass der Beschäftigte darauf angewiesen war, die Treppe zu benutzen, um seiner Beschäftigung überhaupt nachgehen zu können, konnte das unmittelbare betriebliche Interesse nach dem SG München nicht begründen.

Wer trägt welches Risiko? 

An dieser Stelle argumentiert das SG München praxisbezogen:

Die Beschäftigten sind mit den der privaten Wohnung innewohnenden Risiken besser vertraut und für diese Risiken auch selbst verantwortlich. Der Arbeitgeber kann nur begrenzt auf Risiken einwirken, nämlich nur auf solche, die am konkreten Homeoffice-Arbeitsplatz vorliegen. Für den Homeoffice-Arbeitsplatz hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass  Präventionsmaßnahmen nach der Arbeitsstättenverordnung getroffen werden. Für andere häusliche Örtlichkeiten außerhalb des räumlich abgegrenzten Homeoffice-Arbeitsplatzes, wie in diesem Fall die Treppe, hat der Arbeitgeber dagegen keine Möglichkeit, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. 

3. Der Beschäftigte befand sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem versicherten Weg 

Unfälle auf Wegen zur Verrichtung der Notdurft im Betrieb und den entsprechenden Rückwegen sind als Arbeitsunfall anerkannt. Auch Wege im Betrieb von und zu der Nahrungsaufnahme sind als versicherte Wege anerkannt. Dies gilt im Homeoffice nicht. 

Auch an dieser Stelle argumentiert die Rechtsprechung praktikabel: 

Die Beschäftigten können aufgrund dessen, das sie auf der Betriebsstätte anwesend sein müssen, ihre Notdurft in der Regel nicht zu Hause verrichten oder nach Hause fahren, um dort zu essen. Der Arbeitgeber hat auch ein Interesse daran, dass die Arbeit nicht lange unterbrochen wird, um die häusliche Toilette aufzusuchen oder um sich zu Hause ein Essen zuzubereiten. Daher ist der Gang zur Toilette oder zur Kantine im Betrieb ein Weg, der (auch) dem betrieblichen Interesse dient. 

Die Beschäftigten sind auf der Betriebsstätte weiterhin diversen Zwängen unterworfen, wie etwa zeitlich festgelegten (Essens-)Pausen. Im Homeoffice ist der Beschäftigte dagegen weder räumlichen noch zeitlichen betrieblichen Vorgaben oder Zwängen unterlegen. Denn der Weg zur Küche/zum Restaurant ist weder räumlich durch einen bestimmten Betriebsort vorgegeben noch innerhalb eines zeitlichen Rahmens zu erledigen. Daher steht dieser Weg auch in keinem Zusammenhang mit der bereits erbrachten Arbeit.

Dieselben Überlegungen stellt das SG München auch für Wege von der Toilette zum Homeoffice-Arbeitsplatz an. 

Der Beschäftigte argumentierte in dem Verfahren damit, dass es sich bei der Toilette selbst auch um einen Teil der Betriebsstätte handle. Diesem Argument konnte sich das SG München nicht öffnen. Zwar sei das Büro des Beschäftigten eine Arbeitsstätte, Kellertreppe und Toilette seien aber selbst keine Betriebsstätte, sondern dem privaten Bereich des Beschäftigten zuzuordnen. 

4. Kein Wegeunfall 

Der Beschäftigte war zum Unfallzeitpunkt auch nicht durch die Wegeunfallversicherung geschützt, da dieser Versicherungsschutz erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Hauses, in dem die Wohnung liegt, beginnt. 

Fazit: 

Arbeitnehmer im Homeoffice sollten sich klar darüber sein, dass bestimmte Tätigkeiten, wie etwa der Gang zur Toilette und in die Küche zum Zwecke der  Nahrungsaufnahme, welche im Betrieb unfallversichert wären, im Homeoffice nicht zwangsläufig unfallversichert sind. Im eigenen Interesse sollten die häuslichen Wege zum Homeoffice-Arbeitsplatz daher möglichst sicher gestaltet werden. 

Arbeitgeber sollten sich bewusst machen, dass auch für den Homeoffice-Arbeitsplatz Präventionsmaßnahmen, insbesondere nach den Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung, zu treffen sind. Es bietet sich an, die Beschäftigten über den eingeschränkten Unfallversicherungsschutz im Homeoffice zu informieren. 

Workshops:

Die gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz im Homeoffice werfen weiterhin viele Fragen auf, wie bspw. die Frage, welche Präventionsmaßnahmen auf dem Homeoffice-Arbeitsplatz vom Arbeitgeber konkret umzusetzen sind. Zu diesem Thema bieten wir u.a. den Workshop: „Arbeitsschutz für Personaler“ an. Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier

Gefahrgutbeförderung – Beschränkung der Nutzung von Straßentunneln

Liste der beschränkten Straßentunnel veröffentlicht

Das Europäische Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) 2007 enthält in der Anlage B, Teil 8.6 Vorschriften zu Straßentunnelbeschränkungen für die Durchfahrt von Fahrzeugen mit gefährlichen Gütern.

In diesem erwähnten Teil 8.6 sind u.a. Vorgaben für 

  • Straßenverkehrszeichen für die Regelung der Durchfahrt von Fahrzeugen mit gefährlichen Gütern,
  • Tunnelbeschränkungsverbote sowie
  • Beschränkungen für die Durchfahrt von Beförderungseinheiten mit gefährlichen Gütern durch Tunnel

aufgeführt.

Die Bundesländer sind zuständig für die Einteilung der Straßentunnel in sog. „Tunnelkategorien“ (Tunnelkategorien A – E). Diese Kategorien müssen mit Hilfe von Straßenverkehrszeichen angegeben werden. Je höher die Tunnelkategorie, desto höher sind die Beschränkungen für transportierte Güter.

Tunnelbeschränkungscode der gesamten Ladung und Beschränkung

A 

keine Beschränkung für gefährliche Güter

B    

Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien B, C, D und E

B1000C    

Beförderungen, bei denen die Nettoexplosivstoffmasse je Beförderungseinheit 

– 1000 kg überschreitet: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien B, C, D und E; 

– 1000 kg nicht überschreitet: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien C, D und E. 

B/D    

Beförderungen in Tanks: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien B, C, D und E. Sonstige Beförderungen: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien D und E. 

B/E     

Beförderungen in Tanks: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien B, C, D und E. Sonstige Beförderungen: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorie E. 

C     

Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien C, D und E

C5000D    

Beförderungen, bei denen die Nettoexplosivstoffmasse je Beförderungseinheit 

– 5000 kg überschreitet: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien C, D und E; 

– 5000 kg nicht überschreitet: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien D und E. 

C/D    

Beförderungen in Tanks: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien C, D und E. Sonstige Beförderungen: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien D und E. 

C/E     

Beförderungen in Tanks: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien C, D und E. Sonstige Beförderungen: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorie E. 

D     

Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien D und E 

D/E    

Beförderungen in loser Schüttung oder in Tanks: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorien D und E. Sonstige Beförderungen: Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorie E. 

E    

Durchfahrt verboten durch Tunnel der Kategorie E – Durchfahrt durch alle Tunnel gestattet (für die UN-Nummern 2919 und 3331 siehe auch Unterabschnitt 8.6.3.1)

Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat am 14.06.2019 eine Liste von Straßentunneln veröffentlicht. Die dort veröffentlichten Straßentunnel sind in der Nutzung gemäß des Europäischen Übereinkommens über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) beschränkt worden. 

Diese Liste finde Sie unter nachfolgendem Link:

https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/Gefahrgut/beschraenkung-der-nutzung-von-strassentunneln-gemaess-adr.html

Hitzefrei am Arbeitsplatz? Das müssen Sie als Arbeitgeber beachten.

Maßgeblich für den Umgang mit Hitze in Arbeitsräumen sind die Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung und der technischen Regel für Arbeitsstätten „ASR A3.5 Raumtemperatur“. 

Der Arbeitgeber muss den Arbeitsplatz so einrichten, dass keine Gefährdungen durch Hitze vom Arbeitsplatz ausgehen, § 3a ArbStättV. Er muss für eine »gesundheitlich zuträgliche Raumtemperatur« sorgen.

1. Raumtemperatur = +26 °C

Die ASR A3.5  führt unter der Nr. 4.2 aus, dass die Lufttemperatur in folgenden Räumen +26 °C nicht überschreiten soll: 

  • Arbeitsräume,
  • Pausenräume,
  • Bereitschaftsräume,
  • Toilettenräume,
  • Sanitärräume,
  • Kantinenräume und 
  • Erste-Hilfe-Räume.  

Führt die Sonneneinstrahlung durch Fenster, Oberlichter und Glaswände zu einer Erhöhung der Raumtemperaturüber +26°C, so soll der Arbeitgeber diese Bauteile mit geeigneten  Sonnenschutzsystemen (Jalousien, Sonnenschutzverglasungen)  ausrüsten.  

Es kann der Fall eintreten, dass die Außenlufttemperaturen über +26°C liegt, bereits Sonnenschutzsysteme verwendet werden und die Raumtemperatur dennoch auf +26°C steigt.  Dann soll der Arbeitgeber zusätzliche Maßnahmen treffen. Die ASR A3.5 nennt beispielhaft nachfolgende Maßnahmen: 

  • effektive Steuerung des Sonnenschutzes (z.B. Jalousien auch nach der Arbeitszeit geschlossen halten),
  • effektive Steuerung der Lüftungseinrichtungen (z.B. Nachtauskühlung),
  • Reduzierung der inneren thermischen Lasten (z.B. elektrische Geräte nur bei Bedarf betreiben),
  • Lüftung in den frühen Morgenstunden,
  • Nutzung von Gleitzeitregelungen zur Arbeitszeitverlagerung,
  • Lockerung der Bekleidungsregelungen und
  • Bereitstellung geeigneter Getränke (z.B. Trinkwasser).


2. Raumtemperatur = +30 °C

Bei Überschreitung der Lufttemperatur im Raum von +30°C muss der Arbeitgeber wirksame Maßnahmen zur Verringerung der Hitze ergreifen, welche die Beanspruchung  der  Beschäftigten  reduzieren (siehe bspw. Maßnahmenkatalog oben). Für diese Maßnahmen gilt wie immer das TOP-Prinzip, d.h. technische und organisatorische Maßnahmen gehen personenbezogenen Maßnahmen vor.

3. Raumtemperatur = +35 °C

Wird die Lufttemperatur im Raum von +35°C überschritten, so ist der Raum für die Zeit der Überschreitung ohne

  • technische Maßnahmen (z.B. Luftduschen, Wasserschleier),
  • organisatorische Maßnahmen (z.B. Entwärmungsphasen) oder
  • persönliche Schutzausrüstungen (z.B. Hitzeschutzkleidung),

wie bei Hitzearbeit, nicht als Arbeitsraum geeignet.

Die unter 1. angeführten Maßnahmen sind Vorschläge, d.h. der Arbeitgeber kann auch andere Maßnahmen zur Senkung der Raumtemperatur ergreifen. Er sollte jedoch in jedem Fall tätig werden, denn auch in einem überwärmten Büroraum können gesundheitliche Störungen wie Hitzeerschöpfung oder Hitzekollaps auftreten. Deren Anzeichen sollten rechtzeitig erkannt und Sofortmaßnahmen eingeleitet werden. In der ASR A3.5 wird ausdrücklich vor Gesundheitsschäden aufgrund von Arbeiten bei über +26°C gewarnt. Diese Gesundheitsschäden können z.B. auftreten, wenn 

  • schwere körperliche Arbeit zu verrichten ist,
  • besondere Arbeits- oder Schutzbekleidung getragen werden muss, die die Wärmeabgabe stark behindert oder
  • hinsichtlich erhöhter Lufttemperatur gesundheitlich Vorbelastete und besonders  schutzbedürftige Beschäftigte (z.B. Jugendliche, Ältere, Schwangere, stillende Mütter) im Raum tätig sind.


Fazit:

Ein Recht auf Hitzefrei gibt es nicht. Jedoch ist der Arbeitgeber verpflichtet, Maßnahmen zur Senkung der Raumtemperatur zu ergreifen, wenn die Raumtemperatur +26°C überschreitet. Ergreift der Arbeitgeber keine Maßnahmen und wird aufgrund der hohen Raumtemperatur die Gesundheit der Beschäftigten gefährdet, können die Beschäftigten berechtigt sein, den Arbeitsplatz (zeitweise) zu verlassen.

EUGH: „Die Mitgliedsstaaten müssen Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.“

Die Pflicht zur Einführung eines Zeiterfassungssystems wird kommen.

Der EUGH entschied am 14. Mai 2019 (Rechtssache C-55/18) über eine Kontroverse, die sich zwischen einer spanischen Gewerkschaft und der Deutschen Bank SAE entspannt hatte.

Die spanische Gewerkschaft war der Ansicht, die Deutsche Bank SAE müsse verpflichtet werden, ein System zur Erfassung der Arbeitszeit für deren Mitarbeiter einzurichten. Sie argumentierte, nur mit einem solchen System können Arbeitgeber ihrer Verpflichtung auf Einhaltung der vorgesehenen Arbeitszeit und Übermittlung von Überstunden an die Beschäftigten und die spanischen Gewerkschaften zum Zwecke der Prüfung, nachkommen.

Die Deutsche Bank SAE argumentierte, dem spanischen Recht lasse sich nicht entnehmen, dass die Einführung einer Arbeitszeiterfassung verpflichtend sei. Das spanische Recht schreibe lediglich vor, dass geleistete Überstunden dokumentiert und am Monatsende an die Arbeitnehmer und deren Vertreter übermittelt werden müssen. Wie die Dokumentation und Übermittlung erfolgen müsse, werde jedoch nicht geregelt.

Das spanische Gericht (Audencia National), welches über den Rechtsstreit zu entscheiden hatte, legte dem EUGH diese Rechtsfrage vor.

Der EUGH entschied, dass das internationale Recht so ausgelegt werden müsse, als dass eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur Einrichtung eines Zeiterfassungssystems, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, bejaht wird.

Der EUGH begründet diese Ansicht mit der Bedeutung des Grundrechts eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten. Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass den Arbeitnehmern die ihnen verliehenen Rechte zugutekommen. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen ist, so dass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegt. Ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, könne weder die Zahl  der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden, so dass es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich sei, ihre Rechte durchzusetzen. Die objektive und verlässliche Bestimmung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit sei nämlich für die Feststellung, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit einschließlich der Überstunden sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten worden sind, unerlässlich.

Der EUGH vertritt daher die Auffassung, dass eine Regelung, die keine Verpflichtung vorsehe, von einem Instrument Gebrauch zu machen, das diese Feststellung ermöglicht, die Arbeitnehmerrechte nicht gewährleistet, da weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer überprüfen können, ob diese Rechte beachtet werden. Eine solche Regelung könne daher das Ziel, einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer sicherzustellen, gefährden und zwar unabhängig von der nach dem nationalen Recht vorgesehenen  wöchentlichen Höchstarbeitszeit.

Dagegen biete ein Arbeitszeiterfassungssystem den Arbeitnehmern ein besonders wirksames Mittel, einfach zu objektiven und verlässlichen Daten über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu gelangen, und erleichtere dadurch sowohl den Arbeitnehmern den Nachweis einer Verkennung ihrer Rechte als auch den zuständigen Behörden und nationalen Gerichten die Kontrolle der tatsächlichen Beachtung dieser Rechte.

Der EUGH stellt abschließend folgendes fest: 

Um die praktische Wirksamkeit der (…) vorgesehenen Rechte (…) zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Doch obliegt es (…) den Mitgliedstaaten, im Rahmen des ihnen insoweit eröffneten Spielraums, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere dessen Form, festzulegen, und zwar gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs, sogar der Eigenheiten bestimmter Unternehmen, namentlich ihrer Größe.

Fazit:

Der deutsche Gesetzgeber wird sich alsbald eine Regelung überlegen müssen, mit welcher die Intention des EUGH in die Praxis umgesetzt werden kann. Die Verpflichtung zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems wird in jedem Fall kommen, offen ist nur noch, wie der deutsche Gesetzgeber diese Verpflichtung gestalten wird. Nach der Rechtsprechung des EUGH ist es zulässig, bei einer Regelung zur Verpflichtung der Arbeitszeiterfassung 

  • die Besonderheiten, 
  • die Eigenheiten und 
  • die Größe bestimmter Unternehmen 

zu berücksichtigen. Dies eröffnet dem Gesetzgeber die Möglichkeit, ein Start-up der Werbebranche anders zu behandeln, als eine Gießerei mit 1000 Beschäftigten. Der Gesetzgeber sollte von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, um die Eigenarten bestimmter Wirtschaftszweige angemessen zu berücksichtigen. 

Hinweis für die Praxis:

Unternehmen, die bislang über kein System zur Arbeitszeiterfassung verfügen, sollten beginnen, sich mit dieser Thematik auseinander setzen. Hierbei können Überlegungen bezüglich der Anforderungen an das Zeiterfassungssystem aufgrund der konkreten betrieblichen Eigenheiten angestellt werden. Ein Betrieb, welcher eine Verwaltung, eine Produktion und einen Fuhrpark unterhält, hat andere Anforderungen als ein Betrieb, welcher nur aus Büroarbeitsplätzen besteht. Weiterhin könnten Angebote von Anbietern entsprechender Systeme verglichen und ggf. Ausschreibungen vorbereitet werden. Besteht ein Betriebsrat, darf unter keinen Umständen vergessen werden, dass dieser bei der Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beteiligen ist. 

Achtung: Übergangsfrist für anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung läuft ab, Deadline: 31.12.2018

Ab dem 01.01.2018 muss für jeden Arbeitsplatz im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung geprüft werden, ob es mögliche Gefährdungen für Schwangere oder stillende Mütter gibt. Dies gilt für jeden Arbeitsplatz, egal ob dort derzeit eine Frau tätig ist, oder ob dort jemals eine Frau tätig sein wird (Stichwort: Anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung).

Damit soll das Ziel erreicht werden, dass sich Unternehmen rechtzeitig auf mögliche Veränderungen vorbereiten kann. Außerdem sollen sich Frauen schon vor einer Schwangerschaft über Risiken und Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz informieren können.

Die anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung ist seit der Geltung des neuen Mutterschutzgesetzes (MuSchG) am 01.01.2018 für jeden Arbeitsplatz verpflichtend. Die Übergangsfrist für den Nachweis, dass die anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde, läuft am 31.12.2018 ab.

Ohne anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung droht ein Bußgeld bis zu 30.000 EUR

Wurden bisher noch keine anlassunabhängigen Gefährdungsbeurteilungen für die Arbeitsplätze durchgeführt, sollte dies rasch nachgeholt werden. Kann am 01.01.2019 nicht nachgewiesen werden, dass anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt wurden, kann dies mit einem Bußgeld von 5.000 bis 30.000 EUR geahndet werden.