Das SG München beschäftigte sich mit der Frage, ob ein Sturz während des Gangs zur Toilette im Homeoffice als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Ein im Homeoffice befindlicher Beschäftigter stürzte auf dem (Rück-) Weg von der Toilette zu seinem Homeoffice-Arbeitsplatz auf der Treppe und erlitt dabei eine Fraktur des linken Fußes.
Die Berufsgenossenschaft wollte den Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkennen und behauptete, ein Toilettengang sei nicht versichert, weil er allgemein auf einem persönlichen Bedürfnis beruhe, das in keiner besonderen Beziehung zum Beschäftigungsverhältnis stehe. Versichert sei der Weg zur Toilette nur auf der Betriebsstätte des Arbeitgebers selbst. Zum Unfallzeitpunkt habe der Beschäftigte eine eigenwirtschaftliche und damit nicht versicherte Tätigkeit ausgeübt.
Der dagegen eingelegte Widerspruch und die erhobene Klage des Beschäftigten blieben ohne Erfolg. Das Sozialgericht (SG) München sah den Unfall ebenfalls nicht als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII an.
Was ist ein Arbeitsunfall?
Arbeitsunfälle sind die Unfälle, die versicherte Personen, wie bspw. Beschäftigte, infolge der versicherten Tätigkeit erleiden. Der Arbeitsunfall setzt also immer einen ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit voraus.
Nach dem SG München hatte der Beschäftigte zwar einen Unfall und dadurch unstreitig einen Gesundheitserstschaden erlitten. Er war auch als Beschäftigter kraft Gesetzes versichert. Seine Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses – das Hinabsteigen der Treppe – stehe aber nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit. Dies begründete das SG München wie folgt:
1. Der Treppengang war keine versicherte Tätigkeit
Nach dem SG München hatte der Beschäftigte zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit ausgeübt. Eine versicherte Tätigkeit hätte vorgelegen, wenn er die Treppe im Unfallzeitpunkt benutzt hätte, um damit einer (vermeintlichen) Haupt- oder Nebenpflicht aus seinem Arbeitsverhältnis nachzukommen. Er handelte jedoch allein im eigenen Interesse auf dem Weg zu einer höchstpersönlichen Verrichtung.
2. Die Treppe war zum Unfallzeitpunkt kein Betriebsweg
Das SG München war weiter der Ansicht, dass sich der Beschäftigte zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem „Betriebsweg“ befunden hat. Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen.
Im Homeoffice bzw. im häuslichen Bereich gilt ein Weg als Betriebsweg, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausüben wollte, die dem Arbeitgeber bzw. dem unmittelbaren Betriebsinteresse dient.
Der Gang von der Toilette zurück zum Homeoffice-Arbeitsplatz dient nach Ansicht des SG München nicht dem unmittelbaren Betriebsinteresse. Auch wenn der Beschäftigte auf seinem Homeoffice-Arbeitsplatz eine Arbeit für den Arbeitgeber ausübt, so gehört der Rest der Wohnung allein zur häuslichen Lebenssphäre. Auch der Umstand, dass der Beschäftigte darauf angewiesen war, die Treppe zu benutzen, um seiner Beschäftigung überhaupt nachgehen zu können, konnte das unmittelbare betriebliche Interesse nach dem SG München nicht begründen.
Wer trägt welches Risiko?
An dieser Stelle argumentiert das SG München praxisbezogen:
Die Beschäftigten sind mit den der privaten Wohnung innewohnenden Risiken besser vertraut und für diese Risiken auch selbst verantwortlich. Der Arbeitgeber kann nur begrenzt auf Risiken einwirken, nämlich nur auf solche, die am konkreten Homeoffice-Arbeitsplatz vorliegen. Für den Homeoffice-Arbeitsplatz hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass Präventionsmaßnahmen nach der Arbeitsstättenverordnung getroffen werden. Für andere häusliche Örtlichkeiten außerhalb des räumlich abgegrenzten Homeoffice-Arbeitsplatzes, wie in diesem Fall die Treppe, hat der Arbeitgeber dagegen keine Möglichkeit, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen.
3. Der Beschäftigte befand sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem versicherten Weg
Unfälle auf Wegen zur Verrichtung der Notdurft im Betrieb und den entsprechenden Rückwegen sind als Arbeitsunfall anerkannt. Auch Wege im Betrieb von und zu der Nahrungsaufnahme sind als versicherte Wege anerkannt. Dies gilt im Homeoffice nicht.
Auch an dieser Stelle argumentiert die Rechtsprechung praktikabel:
Die Beschäftigten können aufgrund dessen, das sie auf der Betriebsstätte anwesend sein müssen, ihre Notdurft in der Regel nicht zu Hause verrichten oder nach Hause fahren, um dort zu essen. Der Arbeitgeber hat auch ein Interesse daran, dass die Arbeit nicht lange unterbrochen wird, um die häusliche Toilette aufzusuchen oder um sich zu Hause ein Essen zuzubereiten. Daher ist der Gang zur Toilette oder zur Kantine im Betrieb ein Weg, der (auch) dem betrieblichen Interesse dient.
Die Beschäftigten sind auf der Betriebsstätte weiterhin diversen Zwängen unterworfen, wie etwa zeitlich festgelegten (Essens-)Pausen. Im Homeoffice ist der Beschäftigte dagegen weder räumlichen noch zeitlichen betrieblichen Vorgaben oder Zwängen unterlegen. Denn der Weg zur Küche/zum Restaurant ist weder räumlich durch einen bestimmten Betriebsort vorgegeben noch innerhalb eines zeitlichen Rahmens zu erledigen. Daher steht dieser Weg auch in keinem Zusammenhang mit der bereits erbrachten Arbeit.
Dieselben Überlegungen stellt das SG München auch für Wege von der Toilette zum Homeoffice-Arbeitsplatz an.
Der Beschäftigte argumentierte in dem Verfahren damit, dass es sich bei der Toilette selbst auch um einen Teil der Betriebsstätte handle. Diesem Argument konnte sich das SG München nicht öffnen. Zwar sei das Büro des Beschäftigten eine Arbeitsstätte, Kellertreppe und Toilette seien aber selbst keine Betriebsstätte, sondern dem privaten Bereich des Beschäftigten zuzuordnen.
4. Kein Wegeunfall
Der Beschäftigte war zum Unfallzeitpunkt auch nicht durch die Wegeunfallversicherung geschützt, da dieser Versicherungsschutz erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Hauses, in dem die Wohnung liegt, beginnt.
Fazit:
Arbeitnehmer im Homeoffice sollten sich klar darüber sein, dass bestimmte Tätigkeiten, wie etwa der Gang zur Toilette und in die Küche zum Zwecke der Nahrungsaufnahme, welche im Betrieb unfallversichert wären, im Homeoffice nicht zwangsläufig unfallversichert sind. Im eigenen Interesse sollten die häuslichen Wege zum Homeoffice-Arbeitsplatz daher möglichst sicher gestaltet werden.
Arbeitgeber sollten sich bewusst machen, dass auch für den Homeoffice-Arbeitsplatz Präventionsmaßnahmen, insbesondere nach den Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung, zu treffen sind. Es bietet sich an, die Beschäftigten über den eingeschränkten Unfallversicherungsschutz im Homeoffice zu informieren.
Workshops:
Die gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz im Homeoffice werfen weiterhin viele Fragen auf, wie bspw. die Frage, welche Präventionsmaßnahmen auf dem Homeoffice-Arbeitsplatz vom Arbeitgeber konkret umzusetzen sind. Zu diesem Thema bieten wir u.a. den Workshop: „Arbeitsschutz für Personaler“ an. Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.