Lockerung des EEG-Betreiberbegriffs: LG München I setzt neue Maßstäbe
Urteil vom 15. Juni 2022, Az.: 15 O 12711/20
Mit Urteil vom 15. Juni 2022 hat das LG München I einen deutlichen Kurswechsel zum Prüfungsmaßstab und den Anforderungen des EEG-Betreiberbegriffs eingeläutet.
Relevanz: Das LG München I hat sich in seinem Urteil mit der Frage befasst, welche Anforderungen bei einer EEG-Eigenerzeugung an den Betreiberbegriff zu stellen sind. Trotz des Wegfalls der EEG-Umlage ist dieses Urteil für unzählige Eigenerzeugungskonstellationen der Vergangenheit und die zukünftige Unterscheidung zwischen Eigen- und Drittverbrauch unter dem Energiefinanzierungsgesetz interessant.
Hintergrund: In den letzten Jahren sind einige Urteile zur Betreiberstellung von sog. Scheibenpachtmodellen i.S.d. § 104 Abs. 4 EEG ergangen. Im Gegensatz dazu ging es in diesem Rechtsstreit um eine „normale“ Eigenerzeugungskonstellation von Bestandsanlagen gemäß §§ 61 e ff. EEG. Kläger war ein deutscher Übertragungsnetzbetreiber, der die volle EEG-Umlage für eine vermeintliche Stromlieferung vom Eigentümer eines Kraftwerks nachforderte. Der Beklagte hatte dieses Kraftwerk an die Streitverkündete verpachtet, die es zur (in diesem Fall gerichtlich bestätigten) Eigenerzeugung genutzt hatte. Dreh- und Angelpunkt für die Frage, ob es sich bei den mit dem Kraftwerk erzeugten Strommengen um eine EEG-umlagebelastete Stromlieferung des Beklagten oder eine EEG-umlagefreie Eigenerzeugung des Streitverkündeten handelt, ist in diesen Fällen, dass die EEG-Betreiberstellung vom Eigentümer auf den Pächter übertragen wurde.
Einige Schlaglichter:
- Beweislast beim Kläger (Übertragungsnetzbetreiber): Das LG München I hat die Grundsätze zur Tragung der Beweislast in Zivilverfahren konsequent angewandt und dem Kläger die Darlegungs- und Beweislast dafür auferlegt, dass statt einer Eigenerzeugung ein EEG-umlagepflichtiger Liefersachverhalt vorgelegen habe. Andere Gerichte hatten diesen Grundsatz ignoriert und in ähnlichen Verfahren vom vermeintlichen Eigenerzeuger verlangt, seine Betreiberstellung darzulegen und zu beweisen.
- Prüfungsmaßstab für Betreiberstellung: Bei Mehrpersonenkonstellationen wie Pachtverhältnissen sei eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Innerhalb dieser Gesamtbetrachtung könne ein Betreiberkriterium vollständig zurückstehen (es soll genügen, wenn zwei von drei Kriterien kumulativ vorliegen, bisher wurde stets das kumulative Vorliegen der drei Vorgaben gefordert), zu der i.d.R. das überwiegende wirtschaftliche Risiko zähle.
- Kurze Kündigungsfrist: Ein Kündigungsrecht innerhalb von 1 – 4 Monaten stehe dem wirtschaftlichen Risiko nicht entgegen. Denn kurze Kündigungsfristen wirken sich laut LG München I nur auf das „Risiko der Errichtung“, nicht auf das „Risiko des Betriebs“ einer Stromerzeugungsanlage aus.
- Ersatzinvestitionen: Der Anlagenbetreiber müsse keine Fundamentalrisiken der Anlage tragen.
- Pachtzahlung unter Marktniveau: Bei der Pachtzahlung geht es nicht um Marktpreise, sondern nur um „Kapitalkosten“ während der Pachtdauer.
- Ausfallrisiko: Wenn während eines Betriebsstillstands Pacht- und Betriebsführungsentgelte weitergezahlt werden, soll das Ausfallrisiko beim Pächter liegen.
- Pauschalwartungsverträge: Pauschalbeträge für Wartungs- und Instandhaltungskosten seien für die Bewertung des wirtschaftlichen Risikos unkritisch.
- Fahrweise und Sachherrschaft: Umfangreiches Weisungsrecht und Zutrittsrechte sind maßgeblich.
Ob das Urteil eine Trendwende des EEG-Betreiberbegriffs bedeutet und weitere Gerichte der Einschätzung des LG München I folgen, bleibt abzuwarten.
Autorin: Annerieke Walter