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EnWG-Novelle 2021 – Neue vertriebliche Vorgaben

Die EnWG-Novelle 2021 ist Ende Juli in Kraft getreten und hat unter anderem einige wesentliche Änderungen für die Tarifgestaltung und die Anforderungen an Verträge und Rechnungen im Strom- und Gasbereich zur Folge.

Gegenstand der umfangreichen Novelle ist neben der Regulierung der Wasserstoffnetze (RGC berichtete) oder neuen Entflechtungsvorgaben für den Betrieb von Ladeinfrastruktur eine Vielzahl von Neuerungen für Strom- und Gasrechnungen sowie Energielieferverträge mit Letztverbrauchern. Die Regelungen in den §§ 40 ff. EnWG wurden umfassend erneuert und durch sehr detaillierte Vorgaben ergänzt. Hintergrund sind u.a. die Umsetzung der EU-Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (Richtlinie EU 2019/944) und Vorgaben zum Verbraucherschutz. Im Einzelnen:

Strom- und Gasrechnungen (§§ 40 ff. EnWG n.F.): Energielieferanten müssen die Verbrauchsermittlung bzw. dessen Darstellung und die Rechnungsinhalte an die neuen Vorgaben anpassen. Vorgeschrieben sind auch weitere Angaben in der Rechnung, wie z.B. Angaben zur Kontaktaufnahme, insbesondere der Kunden-Hotline, die Verbrauchsstellendetails, Vertragsdauer, Zählerstände und Vergleiche des bisherigen Verbrauchs (auch grafisch). Letztverbraucher haben zudem Anspruch auf regelmäßige kostenlose Übermittlung ihrer Verbrauchsdaten bzw. auf die Möglichkeit, elektronisch ihre Verbrauchshistorie einzusehen oder ihre Rechnung elektronisch übermittelt zu bekommen.

§ 40c EnWG n.F. regelt den Zeitpunkt und die Fälligkeit von Strom- und Gasrechnungen. Der Fälligkeitszeitpunkt wird vom Energielieferanten selbst bestimmt, tritt jedoch frühstens zwei Wochen nach Zugang der Zahlungsaufforderung ein. Der Energielieferant ist zudem verpflichtet, dem Letztverbraucher spätestens sechs Wochen nach Beendigung des abzurechnenden Zeitraums/nach Beendigung des Lieferverhältnisses eine Rechnung auszustellen und ein mögliches Guthaben zu verrechnen oder auszuzahlen. Dies entsprach auch bisher schon einer weit verbreiteten Praxis, wurde aber nun einheitlich und verbindlich für alle Lieferverhältnisse geregelt.

Auch die Regelung zu den Inhalten und Anforderungen an Energielieferverträge mit Letztverbrauchern (§ 41 EnWG n.F.) wurde umfassend verändert. So enthält die Neuregelung neben einem umfassenden Katalog erforderlicher Inhalte und Angaben u.a. Vorgaben dazu, ob und wie Energielieferanten die Preise oder Vertragsbedingungen einseitig anpassen dürfen.

Die einschneidendste Neuerung ist in § 41a EnWG n.F. zur Gestaltung der Stromtarife zu finden. Denn darin werden Stromlieferanten verpflichtet, lastvariable oder tageszeitabhängige Tarife (dynamische Tarife) anzubieten. Damit erhofft man sich Anreize für Energieeinsparungen zu setzen bzw. Anreize zur netzdienlichen Nutzung in Bezug auf die Stromerzeugung durch erneuerbare Energien. Eine Pflicht zum Angebot von dynamischen Stromtarifen trifft die Stromlieferanten, die bis zum 31. Dezember eines Jahres mehr als 200.000 Letztverbraucher beliefern. Ab 2022 trifft diese Pflicht dann auch Lieferanten mit mehr als 100.000 Letztverbrauchern. 

Weitere umfangreiche ergänzende Vorgaben sind daneben für Energielieferverträge mit Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung aufgenommen worden. Neu ist hier u.a., dass die Bundesnetzagentur dafür sorgen muss, dass Haushaltskunden und Kleinstunternehmen (unter 100.000 kWh/Jahr) ein unabhängiges Vergleichsinstrument für den Vergleich von Stromlieferanten und -tarifen zur Verfügung steht (§ 41c EnWG n.F.).

Zudem wurde noch die Pflicht zur Stromkennzeichnung in Rechnungen an Letztverbraucher leicht angepasst; teilweise ist neben dem Gesamtenergieträgermix dann ggf. auch der Unternehmensverkaufsmix auszuweisen. Die jährliche Meldepflicht des Energieträgermixes an die BNetzA ist unverändert geblieben.   

Schließlich wurden mit § 42a EnWG n.F. noch Vorgaben für die Lieferung von Mieterstrom festgeschrieben.

Autoren: Tanja Körtke (RGC)
                Katharina Lakisa (RGC)

Bilanzausgleichspreis wird um Knappheitskomponente erweitert

Die BNetzA hat den Vorschlag der ÜNB angenommen und beschlossen, dass in bestimmten Situationen der Preis für Bilanzungleichgewichte angepasst wird.

Stromeinspeisungen und -entnahmen werden im deutschen Stromnetz über Bilanzkreise erfasst und müssen stets ausgeglichen sein. Für Ungleichgewichte im Bilanzkreis durch Über- oder Unterspeisungen werden Ausgleichsenergiepreise erhoben. Dieser Ausgleichspreis wird über den Intraday-Markt bestimmt. Grundsätzlich kann ein effizienter Systemausgleich im Stromnetz über diese bereits etablierte Börsenpreiskopplung des regelzonen¬übergreifenden einheitlichen Bilanzausgleichsenergiepreises (reBAP) erreicht werden. Dennoch waren in jüngster Zeit gravierende Ungleichgewichte in den Bilanzkreisen aufgetreten. Deshalb sahen ÜNB und BNetzA die Notwendigkeit, die Ausgestaltung der Börsenpreiskopplung um eine zusätzliche Absicherung zu ergänzen, die weitere Anrei¬ze zur Vermeidung systemgefährdender Bilanzungleichgewichte setzen soll.

Aufgrund der EU-Verordnung zur „Festlegung einer Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem“ ((EU) 2017/2195) sind die deutschen ÜNB ermächtigt, Vorgaben für den Ausgleichenergiepreis zu entwickeln und der BNetzA zur Genehmigung vorzulegen. Das haben die ÜNB im Jahr 2020 getan und einen Vorschlag für die Bestimmung des Ausgleichsenergiepreises gemacht, wenn eine sog. Knappheitskomponente vorliegt. Diesen Vorschlag hat die BNetzA nun mit Beschluss vom 11. Mai 2021 (Az.: BK6-20-345) festgelegt.

Der Vorschlag für eine Anpassung des reBAP soll insbesondere in Zeitpunk¬ten starker Systemungleichgewichte die Anreize für die Marktteilnehmer erhöhen, für einen ausgeglichenen Bilanzkreis zu sorgen. Dazu dient die sog. Knappheitskomponente: in Viertelstunden, in denen der Saldo des deutschen Netzregelverbundes einen Wert von mehr als 80 % der kontrahierten Regelleistung in der entsprechenden Richtung ausweist, wird im Rahmen der Bilanzkreisabrechnung bei Unter- und bei Überspeisungen der reBAP nach einer neuen Preisformel berechnet, die zu deutlichen Verteuerungen führen kann.

Die Änderungen beim Ausgleichsenergiepreis werden spätestens sechs Monate nach ihrer Genehmigung wirksam.

ÜNBs erhalten die Befugnis, den Strommarkt komplett auszusetzen

BNetzA genehmigt Notfalleingriffe nach dem Systemschutzplan der ÜNBs

Die Betreiber von Übertragungsnetzen (ÜNB) haben im Rahmen ihrer gesetzlichen Pflichten für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb in ihren Regelzonen zu sorgen. Sie sind außerdem für die Koordination und Kooperation innerhalb des europäischen Verbundnetzes zuständig und müssen Gefährdungen und Störungen der Systemsicherheit durch geeignete Maßnahmen verhindern. Insbesondere besteht gemäß der Verordnung (EU) 2017/2196 zur Festlegung eines Netzkodex über den Notzustand und den Netzwiederaufbau des Übertragungsnetzes die Pflicht, einen sog. Systemschutzplan zu erarbeiten.
Dieser Plan sieht u.a. vor, dass bestimmte Marktaktivitäten von den ÜNB zur Gewährleistung der Systemsicherheit herangezogen werden. Dabei kann es – als letztes Mittel – auch zu einer vollständigen Marktaussetzung kommen. Dies gilt, wenn ein kritischer Netzzustand besteht, der Maßnahmen zur Marktaussetzung erforderlich macht, um einen Blackout-Zustand des Netzes noch zu verhindern. Die Aussetzung sämtlicher Marktaktivitäten ist allerdings die letzte Möglichkeit, nach Eintreten des Blackout-Zustands, den Netzwiederaufbau und eine ordnungsgemäße Wiederaufnahme von Marktaktivitäten zu gewährleisten. Bei der Aussetzung   sämtlicher Marktaktivitäten speisen u.a. die Kraftwerke nicht nach Marktnachfrage ein, sondern befolgen die Vorgabe der ÜNB.
Die ÜNBs dürfen den Handel auch dann vollständig aussetzen, wenn es z.B. für mehr als 30 Minuten zu einer Frequenzabweichung von 0,8 Hz kommt oder wenn die notwendigen Kommunikationsmittel zur Weiterführung des Marktes länger als eine halbe Stunde ausfallen.
Der Plan enthält auch Vorgaben zur entsprechenden Kommunikation mit und Information der betroffenen Marktakteure sowie Bestimmungen für die sachgerechte Abrechnung zwischen den Beteiligten.
Die ÜNB hatten den Systemschutzplan aufgestellt und im Markt konsultiert. Nach einigen Anpassungen wurde der Plan nun von der BNetzA am 4. August 2020 genehmigt (Az.: BK6-18-289).

BNetzA eröffnet Bußgeldverfahren nach REMIT-Verordnung

Ermittlungen laufen gegen drei Marktteilnehmer

Die BNetzA ist die zuständige Behörde in Deutschland für den Vollzug der REMIT-Verordnung. Die Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts (kurz: REMIT) hat das Ziel, die Transparenz und Stabilität der europäischen Energiemärkte zu erhöhen, wobei insbesondere der Insiderhandel und die Marktmanipulation bekämpft werden.

Nun hat die BNetzA offiziell Bußgeldverfahren gegen drei Unternehmen eröffnet, die im Verdacht stehen, falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots von Strom gesendet und damit den Preis beeinflusst zu haben. Dafür hat die BNetzA über Einhundertmillionen Handels- und Bilanzkreisdaten aus drei Tagen im Juni 2019 ausgewertet.

Die Bußgeldverfahren nach der REMIT-Verordnung beruhen auf Erkenntnissen, die die BNetzA im Rahmen von weiteren Aufsichtsverfahren gewonnen hat, die parallel zu den REMIT-Verfahren laufen. Gegenstand dieser Aufsichtsverfahren sind Verstöße gegen die Pflicht zur ausgeglichenen Bewirtschaftung von Bilanzkreisen. Im Juni 2019 kam es an drei Tagen zu massiven Ungleichgewichten im deutschen Stromnetz. Die Übertragungsnetzbetreiber mussten an diesen Tagen ihre vollständige Regelenergie über längere Zeiträume einsetzen und weitere Maßnahmen ergreifen, um das System stabil zu halten.

In Folge dieser massiven Beeinträchtigungen hatte die BNetzA nicht nur die v.g. Aufsichts- und Bußgeldverfahren eröffnet. Es wurden u.a. auch die Regelungen zur Bilanzkreistreue angepasst (RGC berichtete).

Weitere Informationen finden Sie hier.

BNetzA plant Kostenerleichterung für Gasnetzbetreiber bei der Konvertierung von H- zu L-Gas

Die Versorgungslücke bei L-Gas erfordert die Konvertierung von H-Gas zu L-Gas durch Beimischung von Stickstoff. Ob und welchem Umfang die hierbei anfallenden Kosten für die Netzbetreiber genehmigungsfähig sind, ist Gegenstand einer angelaufenen Konsultation zur Festlegung „KOKOS“.

Derzeit gibt es in Deutschland (noch) zwei unterschiedliche Gasqualitäten, die über jeweils eigene, nicht miteinander verbundene Leitungssysteme transportiert werden: H-Gas und L-Gas. Da die L-Gas-Kapazitäten aufgrund des Produktionsrückgangs in Deutschland und in den Niederlanden zurückgehen, wurde die Umstellung der Gasqualität L-Gas auf H-Gas bereits vor Jahren beschlossen und geplant. Diese sog. Marktraumumstellung hat bereits begonnen (RGC berichtete).

Sofern ein Kunde an das L-Gassystem angeschlossen ist, kann er grundsätzlich nicht einfach mit H-Gas beliefert werden, bevor nicht seine Verbrauchsgeräte und Anlagen entsprechend technisch umgerüstet wurden. Um die Versorgung der L-Gaskunden bis zu dieser Umrüstung zumindest zu einem gewissen Teil sicherzustellen, kann H-Gas durch Beimischung von Stickstoff auf L-Gasqualität konvertiert werden.

Nun gehen die L-Gas-Kapazitäten jedoch schneller und stärker zurück, als geplant. Bis zur Umstellung sämtlicher Netze auf H-Gas wird daher die Konvertierung von H- nach L-Gas nicht nur weiterhin erforderlich sein, sondern wohl auch in einem größeren Umfang. Wird der nötige Stickstoff vor Ort durch eine Zerlegung von Luft hergestellt, ist Energie erforderlich. Die Höhe dieser Energiekosten unterliegt starken Schwankungen und diese Kosten konnten bisher von den Netzbetreibern nur eingeschränkt im Rahmen der Entgeltregulierung geltend gemacht werden. Anders gesagt, waren diese Kosten nicht vollständig in den Netzentgelten enthalten.

Die zuständige Beschlusskammer der BNetzA hat nun die Konsultation eines Festlegungsentwurfs mit dem Titel „KOKOS“ gestartet, der die Anerkennung der durch diese Maßnahmen entstehenden Kosten im Rahmen der Netzentgeltregulierung zum Inhalt hat. Betroffene Wirtschaftskreise und Verbraucher können noch bis zum 26. August 2020 zu dem Festlegungsentwurf Stellung nehmen. Weitere Informationen finden Sie hier.

Gericht erklärt Klausel in Stromliefervertrag für unwirksam

Das Recht, die Zahlung einer fehlerhaften Rechnung zu verweigern, darf durch den Energielieferanten nicht in seinen AGB eingeschränkt werden.

In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen vieler Energielieferanten wird das Recht zur Zahlungsverweigerung bei fehlerhaften Rechnungen ausgeschlossen. Die Kunden müssen dann die Rechnung zunächst bezahlen und einen ggf. zu viel gezahlten Betrag in einem Folgeprozess vom Lieferanten zurückfordern. Nur dann, wenn die Fehlerhaftigkeit der Rechnung völlig offensichtlich ist, darf der Kunde seine Zahlung zunächst zurückbehalten und eine Klärung herbeiführen. Ein weiterer Ausnahmefall von der umfassenden Zahlungspflicht wird eingeräumt, wenn der abgerechnete Verbrauch ohne ersichtlichen Grund mehr als doppelt so hoch ist, wie der vergleichbare Verbrauch im vorherigen Abrechnungszeitraum; jedoch muss gleichzeitig eine Zählerprüfung durch den Kunden eingeleitet werden. Diese Regelung hat das Landgericht Düsseldorf im Verhältnis eines Stromlieferanten mit seinem Sondervertragskunden für unwirksam erklärt.

Die streitige Regelung stammt aus den Strom- und Gas-Grundversorgungsverordnungen. Mit diesen Rechtsverordnungen werden die Bedingungen festgeschrieben, zu denen Energieversorgungsunternehmen Haushaltskunden in Niederspannung beliefern müssen. In der Praxis verwenden aber die meisten Lieferanten Regelungen aus diesen Verordnungen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen, auch wenn es nicht um die Belieferung von Haushaltskunden, sondern um die Belieferung von Unternehmen geht. Dies hat seinen Grund darin, dass viele der in den Grundversorgungsverordnungen enthaltenen Regelungen günstig für den Lieferanten sind. Da die Belieferung einer Vielzahl von Haushaltskunden ein Massengeschäft ist, wollte der Verordnungsgeber den Lieferanten vor unvertretbar hohem Aufwand bei der Begründung und Abwicklung von Vertragsverhältnissen schützen. Sonst könnte z. B. der (unberechtigte) Einwand eines Kunden gegen die Stromrechnung zu massiven Verzögerungen bei der Realisierung von Preisforderungen führen, obwohl der Strom bereits geleistet wurde.

Im Verhältnis zu Sonderkunden (z. B. gewerbliche Stromverbraucher) wurde es in der Vergangenheit ebenfalls für zulässig gehalten, Klauseln der Grundversorgungsverordnung vertraglich zu vereinbaren. Eine rechtliche Überprüfung war für Kunden fast nicht möglich. Im Jahr 2013 entschied jedoch der Bundesgerichtshof, dass eine Vertragsklausel in einem Sonderkundenvertrag an den Vorgaben des AGB-Rechts zu messen sein müsse, auch wenn die Klausel aus der Grundversorgungsverordnung stammt.

Das LG Düsseldorf hat in einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 13. November 2019 (Az.: 12 O 14/19) daher die Pflicht, Rechnungen trotz Einwänden zunächst bezahlen zu müssen, einer Prüfung nach AGB-Recht unterworfen und entschieden, dass diese Pflicht eine unangemessene Benachteiligung des Kunden darstellt. Die Erwägung, die im Haushaltskundenbereich den Schutz der Lieferanten begründet, sei nicht auf den Bereich der Sonderkundenbelieferung übertragbar. Eine solche Regelung führe dazu, dass eine Rechnung faktisch eine Forderung begründe. Dem sei jedoch nicht so. Eine Rechnung könne zwar Fälligkeitsvoraussetzung für eine Zahlungsforderung sein. Sie könne jedoch nicht die Forderung selbst begründen. Daher müsse der Sondervertragskunde stets die Möglichkeit haben, Einwände gegen eine Rechnung zu erheben und die Zahlung bis zur Klärung zurückzustellen.

Diese Sichtweise des LG Düsseldorf ist erfreulich. Als Kunde können Sie daher eine Zahlung an den Strom- oder Gaslieferanten vorläufig verweigern, wenn Sie einen begründeten Einwand gegen die Rechnung bzw. deren Höhe haben, selbst wenn in einer allgemeinen Geschäftsbedingung ihres Lieferanten etwas anderes steht.

Mindestabnahmeverpflichtungen in Energielieferverträgen vs. Corona-Virus

Drohen Unternehmen Strafzahlungen für Mindermengen?

Der Energiebedarf der deutschen Industrie hat sich aufgrund der rasanten Ausbreitung des Corona-Virus (Covid-19) bereits jetzt erheblich reduziert. Produktionsreduzierungen oder sogar Betriebseinstellungen sind an der Tagesordnung. Vielen Unternehmen, die sich zur Abnahme einer vertraglich fest vereinbarten Mindestabnahmemenge (unteres Ende des sog. Toleranzbandes) verpflichtet haben, ist es daher nicht mehr möglich, die Abnahmeverpflichtungen aus ihren Energielieferverträgen zu erfüllen. Damit drängt sich die Frage auf, ob diese Unternehmen mit Strafzahlungen oder Schadensersatzzahlungen zu rechnen haben.

Grundsätzlich ist der Energielieferant aus dem Liefervertrag im Falle einer fest vereinbarten Mindestabnahmemenge verpflichtet, die jeweilige Mindestmenge an Energie zu liefern. Der Kunde ist verpflichtet, diese Energiemenge (in der Regel mindestens 80 bis 90 % des prognostizierten Bedarfs) abzunehmen und zu vergüten (take-or-pay). Ist die Minderabnahme aber auf den Corona-Virus zurückzuführen, ist dieser Grundsatz durchbrochen:

Die Auswirkungen des Covid-19 stellen nach unserer Ansicht regelmäßig einen Fall „höherer Gewalt“ dar. So äußert sich auch das BAFA in ihrem Hinweis zur Ausschlussfrist bei der Antragstellung der Besonderen Ausgleichsregelung, wie wir hier berichtet haben. Energielieferverträge regeln die höhere Gewalt regelmäßig in sog. Force-Majeure-Klauseln. Deren Rechtsfolge ist, dass die Vertragspartner wechselseitig für die Dauer der höheren Gewalt von den vertraglichen Leistungspflichten befreit sind. Der Energielieferant muss folglich keine Energie liefern; der Kunde muss keine Energie abnehmen oder vergüten und auch keine anderweitigen Zahlungen wegen der Minderabnahme leisten. Dem Kunden droht also grds. keine Strafzahlungen für Mindermengen. 

Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man die aktuellen Fallkonstellationen im Einzelnen betrachtet: 

Zweifelsohne liegt höhere Gewalt vor, wenn ein Betrieb aufgrund behördlicher/staatlicher Anordnung wegen des Coronavirus geschlossen wird. Das Entsprechende muss unseres Erachtens gelten, wenn sich die Geschäftsführung entschließt, den Betrieb zum Schutz von Leib und Leben seiner Mitarbeiter ganz oder in Teilen zu schließen. Es fehlt dann zwar an einer formal angeordneten Betriebsschließung. Die Übertragung des für das öffentliche Leben ausgesprochenen Kontaktverbots auf das Berufsleben darf dem Energiekunden dann jedoch nicht zum Nachteil gereichen. Möchte man hier gleichwohl die höhere Gewalt verneinen, wird der auch im Vertragsrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Kunden vor Strafzahlungen bewahren. 

Der Rückgang der Produktion und der Energieabnahme ist teilweise auch auf die Störungen oder Unterbrechungen von Lieferketten zurückzuführen, entweder fehlt es an einem für die Produktion notwendigen Vorprodukt oder es fehlen für die gefertigten Produkte die Abnehmer. Ist ein Ausweichen auf andere Lieferanten des Vorprodukts oder auf andere Abnehmer möglich, liegt grds. kein Fall höherer Gewalt vor. Anders sind jedoch die derzeit überwiegenden Fälle zu bewerten, in denen solche Ausweichmöglichkeiten nicht bestehen, weil z.B. ein Vorprodukt nur in China hergestellt wird oder ganze Wirtschaftszweige, wie die Automobilindustrie, als Abnehmer ausfallen.

In allen Fällen sollte jedoch dringend der Energielieferant über sich abzeichnende Abweichungen beim Energiebezug informiert werden, wie wir bereits hier empfohlen haben. Erstes Ziel sollte es zudem sein, mit dem Energielieferanten eine gütliche Lösung zu finden, wie Mark Jüttner von cp energie in seinem Gastbeitrag zutreffend anregt. Gelingt dies nicht und verlangt der Energielieferant wegen der Minderabnahme Zahlungen, sollte der Kunde prüfen, ob er sich gegen diese Forderung mit einer vertragsgegenständlichen Force-Majeure-Klausel oder mit anderen rechtlichen Einwänden verteidigen kann.

Für diejenigen, die sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten und Kunde von ener|gate sind, können hier einen Beitrag von unserer Kollegin Rosalie Wilde aus der e|m|w April/2020 mit dem Titel: „Corona-Virus und Energielieferverträge Umgang mit Mindestabnahme- und Vergütungsklauseln“ nachlesen. 

Praxisbericht von Mark Jüttner von cp energie zu Take-or-Pay-Klauseln in Energielieferverträge bei Produktionsrückgang

Vielen Unternehmen treiben Take-or-Pay-Klauseln gerade Sorgenfalten auf die Stirn.

Als Geschäftsführer eines Energiedienstleistungsunternehmens, stehe ich derzeit mit vielen Industrie- und Gewerbekunden im Kontakt. In dieser nie dagewesenen Situation der COVID-19-Pandemie, die mit weitreichenden Einschränkungen, wie der Vermeidung persönlicher Kontakte im geschäftlichen Bereich einhergeht, treiben den Entscheidungsträgern auch die bestehenden Energielieferverträge Sorgenfalten auf die Stirn.

Der Grund hierfür liegt in den sogenannten Take-or-Pay-Klauseln, mittels derer sich Versorger und Abnehmer auf Mindest- und Maximalabnahmemengen für Energie einigen. Marktüblich sind hier Toleranzbänder von 80 % bis zu 120 % der vereinbarten Liefermengen. Im Normalbetrieb genießen beide Vertragspartner durch eine solche Vereinbarung Planungssicherheit – in Krisensituationen können Take-or-Pay-Klauseln viele Betriebe insbesondere im Mittelstand heftig treffen.

Um diesen Negativ-Effekt abzumildern, suchen wir aktuell mit den Energieversorgern nach Lösungsmöglichkeiten für unsere Kunden. Ergebnisse können jedoch aufgrund der Einzigartigkeit der Gegebenheiten nicht von heute auf morgen erwartet werden, sondern erfordern individuelle Erwägungen: Ob Wege gefunden werden, die weder vom Kunden noch vom Versorger verschuldete Situation für beide Vertragsparteien zufriedenstellend zu bereinigen, bleibt bislang dahingestellt.

Derzeit hoffen wir, dass die Versorger einer kundenorientierten Einigung zustimmen. Gerade Versorger, die selbst eine tages- oder periodenaktuelle Beschaffung durchführen, könnten flexibler als andere Versorger auf die aktuelle Sondersituation reagieren, ohne dass ein Schaden für eine der beiden Vertragsparteien entsteht, wobei auch hier fallbezogene Entscheidungen unumgänglich sein dürften. Ich empfehle dringend, dazu mit dem Versorger proaktiv in Kontakt zu treten und mit ihm zu besprechen wie die Energiemengen sich in den nächsten Wochen verändern werden.

Zur Person: Mark Jüttner ist Geschäftsführer der cp energie GmbH mit Hauptsitz in Bremen. Die Kernaktivitäten konzentrieren sich auf Strom-, Gas- und Energiedienstleistungen für energieintensive Industrie- und Gewerbekunden. Weitere Infos finden Sie in der Unternehmenspräsentation von cp energie in unserer App oder unter www.cp-energie.de

Hinweis von RGC: Unsere rechtliche Bewertung von Abnahmepflichten aus Energielieferverträgen in der Corona-Krise, werden wir in der nächsten Woche in einer eigenen Aktuellesmeldung zusammenfassen. 

Wichtig: Bei erwartetem Rückgang des Energieverbrauchs unverzüglich den Energielieferanten informieren

Ohne Meldung von Veränderungen des Energieverbrauchs können Strafzahlungen drohen!

Wegen des Coronavirus müssen viele Unternehmen ihre Produktion herunterfahren oder sogar einstellen. In diesen Fällen weicht der Ist-Energieverbrauch erheblich von dem Verbrauch ab, der bei Abschluss der Energielieferverträge prognostiziert wurde. Derartige Abweichungen sollten die betroffenen Unternehmen unverzüglich ihren Energieversorgern mitteilen. Anderenfalls können Schadensersatzzahlungen selbst dann drohen, wenn in den Energielieferverträgen keine festen Abnahmeverpflichtungen oder verbindliche Mengenkorridore vereinbart sind.

Wie Mengenunterschreitungen bei vereinbarten Abnahmepflichten zu beurteilen sind, beleuchten wir in den nächsten Tagen in einer gesonderten Meldung.