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Neues zum Gas-Preisanpassungsrecht aus dem aktuellen Entwurf für eine Novellierung des EnSiG

Es wurde eine Formulierungshilfe des Bundeskabinetts veröffentlicht, die weitere Regelungen zur Stabilisierung der Gasversorger und der Weitergabe hoher Gaspreise enthält. 

Mit der Novelle des EnSiG (RGC berichtete) wurde im Mai diesen Jahres in § 24 ein gesetzlich geregeltes Preisanpassungsrecht eingeführt, mit dem Gasversorger bei Vorliegen diverser Voraussetzungen, insb. der sog. Alarm- oder Notfallstufe, einseitig die Preise von Gaslieferverträgen erhöhen können. Zweck der Regelung ist es, „kaskadenartige“ Versorgerinsolvenzen zu verhindern. Bislang können Preisanpassungen auf Grundlage dieser Regelung allerdings noch nicht erfolgen, da ein weiteres Tatbestandsmerkmal, die von der BNetzA offiziell festzustellende „erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen“, noch nicht vorliegt. 

Zunehmend wird dieses neue Preisanpassungsrecht in der Öffentlichkeit, von Verbänden, aber auch vom BMWK („scharfes Schwert“) und anderen Institutionen kritisch gesehen. Die aktuelle EnSiG-Novelle, die am Donnerstag, 7.7. in 3./4. Lesung im Bundestag verabschiedet werden soll, knüpft genau hier an. 

Gestern hat das Bundeskabinett hierzu im schriftlichen Umlaufverfahren eine Formulierungshilfe für eine Anpassung des EnSiG und weiterer Folgeänderungen, u.a. des EnWG beschlossen. 

1. Abgestuftes Modell zur Verhinderung kaskadenartiger Versorgerinsolvenzen

Nach der Formulierungshilfe soll nun ein abgestuftes Modell dazu dienen, die Marktmechanismen und Lieferketten so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und Versorgerinsolvenzen und Kaskadeneffekte zu verhindern.

Nach einem neuen § 29 EnSiG-E sollen vorrangig gegenüber Anpassungen der Gaspreise zeitlich befristete gesellschaftsrechtliche Anpassungen eingeführt werden, die es der Bundesregierung ermöglichen, Unternehmen der kritischen Infrastruktur im Energiesektor zu stabilisieren. 

Neben das bereits geregelte Preisanpassungsrecht aus § 24 EnSiG wird ein weiteres, alternatives Instrument gestellt, das sog. saldierte Preisanpassungsrecht nach § 26 EnSiG-E. Diese Norm bildet die Grundlage für eine Verordnung, nach der die Mehrkosten einer Ersatzbeschaffung infolge von verminderten Gasimporten gleichmäßig auf alle Gaskunden verteilt werden können, dies dürfte folglich den bereits bekannten Energie-Umlagen ähneln. Bislang nicht bekannt ist die konkrete Ausgestaltung, insbesondere auch mögliche Ausnahmen und Privilegierungen, die bleibt einer Verordnung des Wirtschaftsministeriums vorbehalten. 

Wichtigste Unterschiede der beiden Preisanpassungs-Modelle sind, dass die individuelle Preisanpassung nach § 24 EnSiG davon abhängt, welche Mehrkosten sich im konkreten Versorgungsverhältnis (ggf. mittelbar über die Lieferkette) ergeben, d.h. u.a. davon, wie der jeweilige Versorger bislang Energie eingekauft hat. Bei der saldierten Preisanpassung nach § 26 EnSiG-E bezieht sich die Belastung allein auf die bezogene Energiemenge, auf die eine Umlage der Mehrkosten gleichmäßig für alle Gaskunden verteilt würde. Welches Preisanpassungsmodell sich also auf ein konkretes Unternehmen nachteiliger auswirken würde, hängt von der konkreten Vertragslage im Einzelfall ab. 

Laut Bundeswirtschaftsministerium sollen beide Preisanpassungsrechte aktuell noch nicht aktiviert werden, sondern lediglich als „Optionen im Instrumentenkasten zur Verfügung stehen“, damit sie bei einem weiteren Gaspreisanstieg in den nächsten Monaten bei Bedarf eingesetzt werden können. 

Unserer Ansicht nach ungeklärt ist – zumindest nach der bisherigen Textfassung –, ob bereits auf Basis von § 24 EnSiG erfolgte Preiserhöhungen entfallen bzw. vom Versorger zurückzunehmen wären, wenn zunächst das Preisanpassungsrecht nach § 24 EnSiG greifen und sich das Ministerium später für eine Umlage auf Grundlage von § 26 EnSiG-E entscheiden würde. Da beide Regelugen jeweils nur die Mehrkosten der Ersatzbeschaffung abdecken sollen, spricht aber viel für ein entsprechendes Verständnis. 

2. Genehmigungspflicht bei Leistungsverweigerung seitens der Gasversorger

Neben vielen weiteren Änderungen (vgl. Details auch in der Pressemitteilung des BMWK hier) enthält die Formulierungshilfe auch noch eine Regelung, die vorsieht, dass sich Gasversorger in der Alarm- oder Notfallstufe gegenüber Gaskunden ohne Genehmigung der BNetzA nicht auf ein vertragliches oder gesetzliches Leistungsverweigerungsrecht berufen dürfen, wenn dieses mit dem Ausfall oder der Reduzierung von Gasmengen begründet wird, vgl. § 27 EnSiG-E. 

Die Genehmigungspflicht entfällt in zwei Fällen: Wenn das Energieversorgungsunternehmen gegenüber der Bundesnetzagentur nachweist, dass eine Ersatzbeschaffung, unabhängig von den Kosten, unmöglich ist oder wenn der Handel mit Gas für das deutsche Marktgebiet an der European Energy Exchange ausgesetzt ist. 

Diese Genehmigungspflicht soll die Letztverbraucher von Gas vor Liefereinstellungen oder -reduzierungen schützen. Auch industriellen Großverbrauchern kommt es zugute, dass sich Versorger damit auch bei stark gestiegenen Beschaffungskosten nicht (unberechtigt) auf force majeure berufen können und weiterhin der vertraglich übernommenen Lieferverpflichtung nachkommen müssen.

Wenn die Änderungen im Bundestag am 7.7. verabschiedet wurden, werden wir Sie an dieser Stelle mit weiteren Details zum Thema informiert halten. 

Autorinnen: Yvonne Hanke
                       Dr. Franziska Lietz

Aktuelles Urteil: Pauschale Aufrechnungsverbote in Energielieferverträgen können unwirksam sein – und zwar auch dann, wenn sie gegenüber Unternehmen verwendet werden! Wichtig auch für alle von einer Versorgerinsolvenz betroffenen Unternehmen!

Pauschale Aufrechnungsverbote kommen in Energielieferverträgen fast ausnahmslos vor. Aber sind diese immer wirksam? Das OLG Brandenburg verneinte kürzlich die Wirksamkeit eines pauschalen Aufrechnungsverbotes – und zwar in einem Fall, in dem die Klausel gegenüber einem Unternehmen und nicht einem Verbraucher verwendet wurde. Gerade im Fall der Insolvenz von Versorgern könnte dies für Unternehmen deutliche Schadensreduzierungen ermöglichen.

Pauschale Aufrechnungsverbote sind bei Strom- oder Gaslieferverträgen mittlerweile geradezu Standardklauseln geworden. Gerade in Sachverhalten, in denen der Versorger Insolvenzantrag gestellt hat und zugleich ein solches pauschales Aufrechnungsverbot im Energieliefervertrag geregelt ist, spielt die Frage, ob dieses wirksam ist, eine wichtige Rolle für die betroffenen Energiekunden.

Das OLG Brandenburg hat in einem aktuellen Urteil (Brandenburgisches Oberlandesgericht (Urt. v. 11.11.2021 – 12 U 79/21) bestimmten pauschalen Aufrechnungsverboten jetzt eine Absage erteilt, und zwar ausdrücklich, obwohl die Klausel gegenüber einem Unternehmen und nicht gegenüber einem Verbraucher verwendet wurde. Aber Vorsicht: Diese Sichtweise wurde noch nicht höchstrichterlich bestätigt, sodass eine abweichende gerichtliche Bewertung auch in ähnlich gelagerten Fällen nicht ausgeschlossen ist.

Kurz zum Fall: Die Klägerin begehrte Zahlung offenen Werklohns für die Planung und Errichtung einer Trafostation, die Beklagte – ebenfalls ein Unternehmen – rechnete dagegen mit Schadensersatzansprüchen wegen verzögerter Leistungserbringung auf.

Die vertragliche Grundlage zwischen den Parteien enthielt ein Aufrechnungsverbot, welches ausnahmslos für sämtliche Gegenansprüche gelten sollte. Dieses war nach Auffassung des OLG zu pauschal und daher insgesamt unwirksam.

Das OLG führt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 07.04.2011 – VII ZR 209/07) aus, dass das pauschale Aufrechnungsverbot auch solche Ansprüche umfasse, die im sog. Synallagma (also: Gegenseitigkeitsverhältnis) stehen, und dieses daher die andere Vertragspartei nach § 307 ff. BGB unangemessen benachteilige. Dies gelte ausdrücklich auch unter gewerblichen Vertragsparteien.

Was bedeutet dies nun für die Aufrechnung mit Forderungen aus Strom- und Gaslieferverträgen?

Gerade in Fällen, in denen der Versorger Insolvenz angemeldet hat (wie bspw. im Fall der KEHAG Energiehandeln GmbH), haben Energiekunden teilweise Lieferungen aus 2021 noch nicht bezahlt, während im Jahr 2022 bereits ein Schaden durch den Neuabschluss eines teureren Vertrages entstanden ist (RGC berichtete hier und hier. Gleichzeitig sind in den Energielieferverträgen vielfach Aufrechnungsverbote enthalten, die nach AGB-Recht zu prüfen sind.

Betroffene Kunden sollten also vor einer Zahlung an den Versorger dringend die Wirksamkeit des Aufrechnungsverbotes prüfen. Gilt dieses ganz pauschal und damit auch für Forderungen im Gegenseitigkeitsverhältnis, können mit Blick auf o.g. Urteil des OLG Brandenburg gute Argumente dafür bestehen, dass das Aufrechnungsverbot insgesamt unwirksam ist. Sofern Sie Unterstützung bei derartigen Fragestellungen benötigen, sprechen Sie uns gern an.

Autoren: Yvonne Hanke
                 Dr. Franziska Lietz
                 Dieter G. Maring