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Mindestabnahmeverpflichtungen in Energielieferverträgen vs. Corona-Virus

Drohen Unternehmen Strafzahlungen für Mindermengen?

Der Energiebedarf der deutschen Industrie hat sich aufgrund der rasanten Ausbreitung des Corona-Virus (Covid-19) bereits jetzt erheblich reduziert. Produktionsreduzierungen oder sogar Betriebseinstellungen sind an der Tagesordnung. Vielen Unternehmen, die sich zur Abnahme einer vertraglich fest vereinbarten Mindestabnahmemenge (unteres Ende des sog. Toleranzbandes) verpflichtet haben, ist es daher nicht mehr möglich, die Abnahmeverpflichtungen aus ihren Energielieferverträgen zu erfüllen. Damit drängt sich die Frage auf, ob diese Unternehmen mit Strafzahlungen oder Schadensersatzzahlungen zu rechnen haben.

Grundsätzlich ist der Energielieferant aus dem Liefervertrag im Falle einer fest vereinbarten Mindestabnahmemenge verpflichtet, die jeweilige Mindestmenge an Energie zu liefern. Der Kunde ist verpflichtet, diese Energiemenge (in der Regel mindestens 80 bis 90 % des prognostizierten Bedarfs) abzunehmen und zu vergüten (take-or-pay). Ist die Minderabnahme aber auf den Corona-Virus zurückzuführen, ist dieser Grundsatz durchbrochen:

Die Auswirkungen des Covid-19 stellen nach unserer Ansicht regelmäßig einen Fall „höherer Gewalt“ dar. So äußert sich auch das BAFA in ihrem Hinweis zur Ausschlussfrist bei der Antragstellung der Besonderen Ausgleichsregelung, wie wir hier berichtet haben. Energielieferverträge regeln die höhere Gewalt regelmäßig in sog. Force-Majeure-Klauseln. Deren Rechtsfolge ist, dass die Vertragspartner wechselseitig für die Dauer der höheren Gewalt von den vertraglichen Leistungspflichten befreit sind. Der Energielieferant muss folglich keine Energie liefern; der Kunde muss keine Energie abnehmen oder vergüten und auch keine anderweitigen Zahlungen wegen der Minderabnahme leisten. Dem Kunden droht also grds. keine Strafzahlungen für Mindermengen. 

Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man die aktuellen Fallkonstellationen im Einzelnen betrachtet: 

Zweifelsohne liegt höhere Gewalt vor, wenn ein Betrieb aufgrund behördlicher/staatlicher Anordnung wegen des Coronavirus geschlossen wird. Das Entsprechende muss unseres Erachtens gelten, wenn sich die Geschäftsführung entschließt, den Betrieb zum Schutz von Leib und Leben seiner Mitarbeiter ganz oder in Teilen zu schließen. Es fehlt dann zwar an einer formal angeordneten Betriebsschließung. Die Übertragung des für das öffentliche Leben ausgesprochenen Kontaktverbots auf das Berufsleben darf dem Energiekunden dann jedoch nicht zum Nachteil gereichen. Möchte man hier gleichwohl die höhere Gewalt verneinen, wird der auch im Vertragsrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Kunden vor Strafzahlungen bewahren. 

Der Rückgang der Produktion und der Energieabnahme ist teilweise auch auf die Störungen oder Unterbrechungen von Lieferketten zurückzuführen, entweder fehlt es an einem für die Produktion notwendigen Vorprodukt oder es fehlen für die gefertigten Produkte die Abnehmer. Ist ein Ausweichen auf andere Lieferanten des Vorprodukts oder auf andere Abnehmer möglich, liegt grds. kein Fall höherer Gewalt vor. Anders sind jedoch die derzeit überwiegenden Fälle zu bewerten, in denen solche Ausweichmöglichkeiten nicht bestehen, weil z.B. ein Vorprodukt nur in China hergestellt wird oder ganze Wirtschaftszweige, wie die Automobilindustrie, als Abnehmer ausfallen.

In allen Fällen sollte jedoch dringend der Energielieferant über sich abzeichnende Abweichungen beim Energiebezug informiert werden, wie wir bereits hier empfohlen haben. Erstes Ziel sollte es zudem sein, mit dem Energielieferanten eine gütliche Lösung zu finden, wie Mark Jüttner von cp energie in seinem Gastbeitrag zutreffend anregt. Gelingt dies nicht und verlangt der Energielieferant wegen der Minderabnahme Zahlungen, sollte der Kunde prüfen, ob er sich gegen diese Forderung mit einer vertragsgegenständlichen Force-Majeure-Klausel oder mit anderen rechtlichen Einwänden verteidigen kann.

Für diejenigen, die sich vertieft mit dem Thema beschäftigen möchten und Kunde von ener|gate sind, können hier einen Beitrag von unserer Kollegin Rosalie Wilde aus der e|m|w April/2020 mit dem Titel: „Corona-Virus und Energielieferverträge Umgang mit Mindestabnahme- und Vergütungsklauseln“ nachlesen.