Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz im Wahlkampf die Beschränkung des Industriestrompreises auf 4 ct/kWh als Ziel ausgerufen hatte, geht es nun um die Frage der konkreten Umsetzung eines Industriestrompreismodells. Vizekanzler Robert Habeck bekräftigte Anfang März noch einmal, dass – trotz stark gestiegener Energiepreise – zumindest ein Industriestrompreis von 5-9 ct/kWh angepeilt werden müsse und die Ampelkoalition dies möglichst noch im ersten Halbjahr 2023 in Angriff nehmen wolle.
Bereits Mitte 2022 wurde die Einführung einer Verordnungsermächtigung der Bundesregierung zur Einführung von Industriestrompreisen beschlossen. Diese findet sich nunmehr in § 96a WindSeeG. Weiterhin herrscht jedoch Unklarheit über die konkrete Umsetzung eines Industriestrompreismodells.
Gleichzeitig verfolgt auch die Europäische Union das Ziel als Industriestandort attraktiver zu werden und daher EU-weit stabile Strompreise zu garantieren.
Die verschiedenen Ansätze und Modelle fassen wir Ihnen nachfolgend kurz zusammen:
1. Vorschlag der EU-Kommission
Am 15.03.2022 machte die EU-Kommission einen Vorschlag, wie die Strompreise möglichst auch in Krisenzeiten stabilisiert werden können. Für Industriekunden wäre das Ziel die Förderung langfristiger Verträge, um so Preisstabilität zu gewährleisten.
Die Staaten könnten entweder PPA-Hindernisse (PPA = Power Purchase Agreement) mit „marktbasierten Garantien“ beseitigen oder aber neue Stromerzeugungsanlagen über zweiseitige Differenzverträge (CfD) fördern. CfDs würden den Stromerzeugern bei niedrigen Preisen dennoch Einnahmen von gewisser Höhe garantieren, bei hohen Preisen würden Überschusserlöse dagegen abgeschöpft und an die Verbraucher zurückfließen. Das Risiko niedriger Preise würde also der Staat tragen.
Jeder Mitgliedsstaat soll – je nach örtlichen Besonderheiten und Marktlage – frei wählen können, welche Lösung er präferiert. Der Vorschlag muss allerdings noch vom EU-Parlament und den Mitgliedstaaten geprüft werden, sodass mit einer Entscheidung erst Ende dieses Jahres, vielleicht sogar erst nach den Europawahlen 2024, gerechnet werden kann.
2. Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums
Die Beratungsunternehmen Consentec, Enervis, Ecologic und das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung haben für das Wirtschaftsministerium dagegen ein etwas anderes Konzept erarbeitet, das aber auch über Differenzverträge funktionieren würde.
Ziel wäre es, Erzeuger von Offshore-Windenergie und industrielle Abnehmer zusammenzubringen. Hierfür solle der Staat – in von der BNetzA organisierten Ausschreibungen – Angebot und Nachfrage über Differenzverträge zusammenführen. Auf der Angebotsseite würde ein Höchstwert für die angebotene Offshore-Windenergie festgelegt. Auf der Nachfrageseite wird eine Auktion durchgeführt. Teilnehmen dürften nur Unternehmen, die gewisse Voraussetzungen – z.B. die der EU-Leitlinien für Energie- und Klimabeihilfen – erfüllen.
Der Staat wäre dann auf Angebots- und Nachfrageseite jeweils zentraler Vertragspartner. Er trüge das Risiko für die Differenz zwischen Vertrags- und Referenzpreis.
Doch die Ersteller des Konzepts sehen selbst bereits die Nachteile ihres Vorschlags. So könne mit der rechtlichen Umsetzung frühestens 2024 gerechnet werden. Das viel größere Problem wäre aber, dass dieses Modell keine bestehenden Offshore-Windparks nutzen würde, sondern nur neu zu errichtende Windparks auf extra ausgewiesenen Flächen. Die Errichtung neuer Windparks würde sich bis mindestens 2029/2030 hinziehen und ob die hier dann generierten Strommengen den industriellen Verbrauch auch nur ansatzweise abdecken, darf bezweifelt werden. Außerdem dürften die Teilnahmevoraussetzungen nicht zu streng sein, da sich sonst praktisch kein Vorteil für Deutschland als Industriestandort ergäbe, wenn ein Großteil der Industriekunden von der Teilnahme ausgeschlossen wäre.
3. Vorschlag der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK)
Deshalb kritisiert auch die DIHK den Vorschlag als realitätsfern. Sie schlägt stattdessen ein Modell vor, das sich am amerikanischen Inflation Reduction Act orientiert. Betreiber von Erneuerbaren-Energien-Anlagen sollten durch Steuervergünstigungen – wie z.B. schnellere Abschreibungen oder steuerliche Förderungen – für den Abschluss langfristiger und somit preisstabiler Stromlieferverträge belohnt werden.
Doch ganz gleich auf welches Modell die Bundesregierung sich am Ende festlegen wird, es tut sich jedenfalls etwas bezüglich der Einführung eines Industriestrompreismodells.
Besonders spannend ist in diesem Zusammenhang auch eine kleine Anfrage der Union zum Industriestrompreis vom 06.04.2023. Aus den Antworten könnten sich Klarstellungen zum deutschen Industriestrompreismodell sowie zum Fahrplan der Einführung eines solchen ergeben. Über Neuigkeiten – insbesondere eine Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage – werden wir Sie natürlich auf dem Laufenden halten.
Autoren: Dr. Franziska Lietz
Jan Schlüpmann