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LAG Baden-Württemberg: „Ich mache Sie fertig!“ reicht nicht für fristlose Kündigung eines Betriebsratsmitglieds aus

Urteil vom 21.01.2020, Az. 8 Sa 30/19

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) hat in dem Rechtsstreit u.a. entschieden, dass eine gegenüber der Personalleiterin getätigte bedrohende Äußerung ohne vorherige Abmahnung nicht für eine außerordentliche fristlose Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes ausreiche, da es an einer vorherigen Abmahnung fehlte. 

Relevanz: Das Urteil ist für Unternehmen und Arbeitgeber von Interesse, die Betriebsratsmitglieder, die bedrohende Äußerungen tätigen, ohne vorherige Abmahnung fristlos kündigen. 

Hintergrund: Ein Ingenieur war über 20 Jahre bei seinem Arbeitgeber beschäftigt und seit über 10 Jahren Mitglied des Betriebsrates. Der Arbeitgeber kündigte dem Ingenieur fristlos, nachdem er die Personalleiterin in einem Personalgespräch beschimpft und bedroht haben soll („Ich mach Sie fertig. Sie sind sehr mutig, dass Sie sich mit mir anlegen.“). Hintergrund des Personalgesprächs war der Vorwurf, dass sich der Ingenieur unberechtigt im Bereich der Damenumkleiden aufgehalten und trotz Aufforderung nicht entfernt haben soll. Kurze Zeit danach soll der Ingenieur einen Arbeitskollegen ebenfalls bedroht haben („Sie krieg ich auch noch“). Der Betriebsrat hatte der außerordentlichen Kündigung zuvor seine Zustimmung erteilt. Ordentliche Kündigungen unter Einhaltung der Kündigungsfrist sind bei Betriebsratsmitgliedern nach dem Kündigungsschutzgesetz grundsätzlich ausgeschlossen. Der Ingenieur hat Kündigungsschutzklage erhoben.

Nach Auffassung des LAG war die fristlose Kündigung unwirksam, da es an einer vorherigen Abmahnung fehlte. Ohne vorherige Abmahnung reiche die streitige Äußerung des Ingenieurs gegenüber der Personalleiterin nicht für eine außerordentliche Kündigung aus.

Trotz der unwirksamen Kündigung hat der Ingenieur im vorliegenden Fall jedoch keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung, da der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis in der Zwischenzeit noch einmal außerordentlich gekündigt habe und diese Kündigung nicht offensichtlich unwirksam sei.

BAG: Überstunden erlöschen nach Kündigung nicht automatisch durch Freistellung

Urteil vom 20.11.2019, Az. 5 AZR 578/18

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in dem Rechtsstreit u.a. entschieden, dass Gutstunden auf dem Arbeitszeitkonto vom Arbeitgeber in Geld abzugelten sind, wenn diese bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr durch Freizeit ausgeglichen werden können. Die Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht in einem gerichtlichen Vergleich ist nur dann geeignet, den Anspruch auf Freizeitausgleich zum Abbau von Gutstunden auf dem Arbeitszeitkonto zu erfüllen, wenn der Arbeitnehmer erkennen kann, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich von der Arbeitspflicht freistellen will. Hierfür genügt die Klausel, der Arbeitnehmer werde unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt, nicht.

Relevanz: Das Urteil ist für Unternehmen und Arbeitgeber von Interesse, die Arbeitnehmer nach ausgesprochener Kündigung unwiderruflich von der Arbeit freistellen. Die Entscheidung verdeutlicht, wie wichtig Formulierungen in Aufhebungsverträgen und gerichtlichen Vergleichen sind. 

Hintergrund: Die Klägerin war als Sekretärin beschäftigt. Nachdem ihr Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt hatte, schlossen sie im Kündigungsschutzprozess einen gerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Arbeitgeberkündigung mit Ablauf des übernächsten Monats endete. Bis dahin stellte der Arbeitgeber die Klägerin unwiderruflich von ihrer Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung frei. In diesem Zeitraum sollte auch der Resturlaub eingebracht sein. Eine allgemeine Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel enthält der Vergleich nicht.

Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte die Klägerin von ihrem ehemaligen Arbeitgeber die Abgeltung von Gutstunden auf ihrem Arbeitszeitkonto in Geld. 

Nach Auffassung des BAG sind Gutstunden auf dem Arbeitszeitkonto in Geld abzugelten, da in dem geschlossenen Vergleich weder ausdrücklich, noch konkludent hinreichend deutlich festgehalten sei, dass die Freistellung auch dem Abbau des Arbeitszeitkontos dienen solle.

BAG: Urlaubsabgeltung und Verfallfristen – Neubeginn der Verjährung

Urteil vom 19. März 2019, Az.: 9 AZR 881/16

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in dem Rechtsstreit u.a. entschieden, dass die in einer Entgeltabrechnung enthaltene Mitteilung einer bestimmten Anzahl von Urlaubstagen ein Anerkenntnis dieses Urlaubsanspruchs darstellen kann, so dass die Verjährungsfrist für die ausgewiesenen Urlaubstage erneut zu laufen beginnen würde.

Relevanz: Das Urteil ist für alle Unternehmen und Arbeitgeber von Interesse, die in Entgeltabrechnungen die noch nicht genommenen Urlaubstage ihrer Arbeitnehmer angeben. Dies gilt insbesondere für Entgeltabrechnungen, in denen die Urlaubstage für die Vorjahre ausgewiesen sind, die länger als drei Jahre zurückliegen. 

Hintergrund: Nach der Eigenkündigung eines Arbeitnehmers im Jahr 2016 forderte dieser von seinem ehemaligen Arbeitgeber die Abgeltung von Resturlaub aus den Jahren 2008 – 2013. Der Arbeitgeber hat sich auf die Verjährung der Urlaubsansprüche berufen und weigerte sich, den Resturlaub abzugelten. 

Nach Auffassung des BAG hat der Arbeitgeber die Urlaubsansprüche im verjährungsrechtlichen Sinne gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB anerkannt, indem er regelmäßig in den Entgeltabrechnungen den Resturlaub für sämtliche Vorjahre angegeben hat. Die aus den Jahren 2008 – 2013 stammenden Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers sind daher nicht verjährt, weil die Verjährung am Tag nach jeder Erteilung einer Entgeltabrechnung jeweils neu in Gang gesetzt wurde.

Lange Kündigungsfrist als unangemessene Benachteiligung?

Lange Kündigungsfrist als unangemessene Benachteiligung?

Das Bundesarbeitsgericht hatte am 26. Oktober 2017 (Az.: 6 AZR 158/16) über die Frage zu entscheiden, ob eine lange Kündigungsfrist eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers darstellen und damit unwirksam sein kann.

Der beklagte Arbeitnehmer war seit dem Jahr 2009 bei der klagenden Arbeitgeberin mit einem Bruttomonatsgehalt i.H.v. 1.400,00 € beschäftigt. Im Jahr 2012 schlossen die Parteien eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag. Nach der Zusatzvereinbarung wurde das Bruttomonatsgehalt um 1.000,00 € erhöht und eine Verlängerung der Kündigungsfrist für beide Seiten auf drei Jahre zum Monatsende vereinbart. Das neu vereinbarte Bruttomonatsgehalt sollte nach der Zusatzvereinbarung langfristig nicht erhöht werden. Der Arbeitnehmer kündigte das Arbeitsverhältnis am 27. Dezember 2014 zum 31. Januar 2015, also unter Wahrung der gesetzlichen sog. Grundkündigungsfrist von vier Wochen zum 15. bzw. zum Ende eines Kalendermonats.

Die Arbeitgeberin wollte die Kündigung des Arbeitnehmers nicht zum ausgesprochenen Termin akzeptieren und erhob Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der vereinbarten dreijährigen Kündigungsfrist – also mindestens bis zum 31.12.2017 – fortbestehe.
 
Die Arbeitgeberin führte im Rechtstreit aus, eine längere Kündigungsfrist sei unverzichtbar gewesen, da das Unternehmen nur auf diese Weise in Ruhe geeignetes neues Personal auswählen und einen reibungslosen Übergang durch eine im Rahmen der Kündigungsfrist mögliche Einarbeitung erreichen könne.
Außerdem sei der Abschluss der Zusatzvereinbarung mit einem Vorteil für den Arbeitnehmer verbunden gewesen. Schließlich habe dieser ein höheres Bruttomonatsgehalt erhalten.

Sie argumentierte weiterhin, das Unternehmen habe sich bei der Vereinbarung der Kündigungsfrist an die Grenzen des § 622 Abs. 6 BGB und § 15 Abs. 4 TzBfG gehalten.

Anmerkung:

  • § 622 Abs. 6 BGB normiert, dass für Kündigungen des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer keine längere Frist vereinbart werden darf als für die Kündigung des Arbeitgebers.
  • Nach § 15 Abs. 4 TzBfG kann das Arbeitsverhältnis, wird es für die Lebenszeit einer Person oder für eine längere Zeit als fünf Jahre eingegangen, von dem Arbeitnehmer nach Ablauf von fünf Jahren gekündigt werden.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Klage ab. Das BAG entschied ebenfalls zugunsten des Arbeitnehmers und folgte der Argumentation des LAG.
Das LAG qualifizierte die von der Arbeitgeberin vorformulierte Zusatzvereinbarung und der dort enthaltenen Verlängerung der Kündigungsfrist als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), welche nur zulässig sind, wenn sie den Vertragspartner im Einzelfall nicht unangemessen benachteiligen. Die Verlängerung der Kündigungsfrist auf drei Jahre wurde in dem vorliegenden Einzelfall als unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB angesehen. Bei einer Kündigungsfrist, die wesentlich länger als die Regelfrist des § 622 Abs. 1 BGB ausfällt, müsse nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles unter Beachtung der verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG geprüft werden, ob die berufliche Bewegungsfreiheit unangemessen eingeschränkt wird. Auch wenn die Arbeitgeberin die Grenzen des § 622 Abs. 6 BGB und § 15 Abs. 4 TzBfG eingehalten habe, schränke die verlängerte Frist die berufliche Bewegungsfreiheit im konkreten Einzelfall unangemessen ein. Eine Einschränkung ergebe sich bspw. daraus, dass die dreijährige Kündigungsfrist mit der Möglichkeit des Arbeitgebers verknüpft war, den Arbeitnehmer ab Zugang der Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freizustellen. Die Kombination aus langer Kündigungsfrist und der Möglichkeit der Freistellung führe dazu, dass sich die Chance des Arbeitnehmers auf die Erlangung einer Anschlussbeschäftigung (weiter) verschlechtert. Eine mögliche dreijährige Untätigkeit sei vergleichbar mit einer Langzeitarbeitslosigkeit, die bekanntermaßen die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt verringert. Das Interesse der Arbeitgeberin, besonders gute Mitarbeiter mit einer längeren Kündigungsfrist zu binden, stelle eine schützenswerte Rechtsposition dar, allerdings habe sie sich durch eine dreijährige Kündigungsfrist übersichert. Die in der Zusatzvereinbarung festgelegte Vergütung des Arbeitnehmers sei kein angemessener Ausgleich für die sich aus der dreijährigen Kündigungsfrist ergebenden Nachteile. Zwar sei eine Erhöhung von 1.000,00 € brutto erheblich; angesichts des mehr als bescheidenen Ausgangswertes i.H.v. 1.400,00 € ergebe sich durch sie jedoch insgesamt allenfalls eine angemessene Vergütung. Um einen angemessenen Ausgleich darstellen zu können, müsste die Erhöhung dergestalt angesetzt sein, dass der Arbeitnehmer innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren entsprechende Rücklagen neben den Ausgaben für einen angemessenen Lebensstil bilden kann.

Konsequenzen für die Praxis:

Beinhalten vorformulierte Arbeitsverträge Kündigungsfristen, die sehr weit über die tariflichen oder gesetzlichen Kündigungsfristen hinausgehen, sollten Arbeitgeber prüfen lassen, ob diese eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers darstellen. Im Rahmen dieser Prüfung muss zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an der langfristigen Bindung des Arbeitnehmers an das Unternehmen und dem Interesse des Arbeitnehmers auf berufliche Bewegungsfreiheit abgewogen werden. Die Rechtsprechung hat im oben dargestellten Rechtstreit ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers in folgenden Fällen angenommen:

  • Aufgrund der speziellen Anforderungen des Betriebes müssen Arbeitnehmer zunächst qualifiziert werden und die Qualifizierung ist innerhalb einer kürzeren Frist nicht möglich.
  • Aufgrund der speziellen Anforderungen des Betriebes sind qualifizierte Arbeitnehmer nicht in einer kürzeren Frist auf dem Arbeitsmarkt zu erlangen.
  • Das Geschäftsmodell basiert auf einer besonderen Bindung der Kunden an das eingesetzte Personal, welche über einen längeren Zeitraum wachsen muss.

Für das Vorliegen einer solchen Fallkonstellation ist der Arbeitgeber im arbeitsgerichtlichen Verfahren darlegungs- und beweispflichtig.
Auf das Argument, mit der verlängerten Kündigungsfrist solle der Abfluss von aktuellen Geschäftsgeheimnissen zu einem Konkurrenzunternehmen verhindert werden, sollten Arbeitgeber nicht bauen. Diesem erteilte die Rechtsprechung eine Absage, da hierfür das nachvertragliche Wettbewerbsverbot die rechtlich zutreffende Lösung sei.

Arbeitnehmer sollten bei sehr langen Kündigungsfristen beachten, dass diese nicht nur eine Absicherung darstellen, sondern auch die Flexibilität einschränken können. In der Praxis führt eine dreijährige Kündigungsfrist für einen „gewöhnlichen“ Arbeitnehmer dazu, dass er einen nahtlosen Übergang in ein neues, möglicherweise besser dotiertes Arbeitsverhältnis nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten planen kann.