Beiträge

OLG Düsseldorf: Aufgrund der unvorhersehbaren Entwicklung auf den Energiemärkten ist es nicht verboten, unterschiedliche Preise je nach dem Zeitpunkt des Versorgungsbeginns in der Grund- und Ersatzversorgung anzubieten.

Beschluss vom 01.04.2022, Az.: VI-5 W2/22 (Kart)

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wegen der unvorhersehbaren Sondersituation zum Ende des Jahres 2021 durch das kurzfristige Ausscheiden einzelner Energielieferanten und der Preisentwicklung im Markt ist eine Preisspaltung zwischen Alt- und Neukunden in der Grund- und Ersatzversorgung zulässig.


Relevanz:
Das OLG Düsseldorf befasst sich in seinem Beschluss mit der Frage, ob das EnWG in der Grund- oder Ersatzversorgung immer Gleichpreisigkeit vorschreibt.

Hintergrund: Es streiten ein Stadtwerk und eine Verbraucherzentrale im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens darüber, ob das Stadtwerk von Kunden in der Grund- oder Ersatzversorgung, deren Vertrag am 21.12.2021 oder später begonnen hat (Neukunden), einen höheren Preis verlangen darf, als von Kunden, deren Vertragsbeginn vor dem 21.12.2021 liegt (Altkunden).

Das OLG Düsseldorf hat das bejaht:

Nach § 36 Absatz 1 EnWG haben alle Haushaltskunden das Recht auf Versorgung mit Elektrizität/Gas zu wettbewerbsfähigen, leicht und eindeutig vergleichbaren, transparenten und diskriminierungsfreien Preisen. Eine Preisspaltung sei damit aber nicht ausgeschlossen, wenn es einen sachlichen Grund gibt: Das Stadtwerk will mit den unterschiedlichen Preisen darauf reagieren, dass es durch die unvorhersehbare Entwicklung auf den Energiemärkten zum Ende des Jahres 2021 und dem Ausscheiden einzelner Energielieferanten – zumindest vorübergehend – zusätzliche Haushaltskunden in einem solchen Umfang beliefern muss und dafür zusätzliche Energie beschaffen musste. Die kurzfristig zu beschaffende Ersatzenergie ist aber typischerweise um ein Vielfaches teurer, als die Energie, die der Versorger geplant mit großem zeitlichem Vorlauf beschaffen kann. In einer solchen Situation bestehen nach Ansicht des OLG Düsseldorf keine Bedenken, wenn der Grundversorger die zusätzlichen Beschaffungskosten im Wege einer Preisspaltung zeitnah und verursachungsgerecht an die Gruppe der Neukunden weitergibt. Andernfalls liefe es auf eine Subventionierung der ersatzversorgten Kunden durch die grundversorgten Kunden hinaus, mit der Folge, dass das Prinzip der verursachungsgerechten Kostenzuordnung durchbrochen wird.

Seine Rechtsansicht sieht das OLG Düsseldorf bestätigt durch den Referentenwurf des BMWK zur künftigen Aufgabe der Gleichpreisigkeit der Ersatz- mit der Grundversorgung (Änderung des § 38 EnWG) und der Möglichkeit für die Grundversorger, die allgemeinen Preise in der Erstversorgung künftig monatlich anpassen zu können und so auf vorübergehende höhere Beschaffungs- und Vertriebskosten reagieren zu können.

Mit diesem Beschluss schließt sich das OLG Düsseldorf der Entscheidung des OLG Köln vom 23.03.2022 (RGC berichtete) an, dass ebenfalls gespaltene Grundversorgungstarife als zulässig beurteilt hat.

Autorinnen: Pia Weber
                       Aletta Gerst

AG Bottrop: Sonderkündigung unwirksam – Amtsgericht Bottrop verpflichtet Versorger zur Weiterbelieferung

Beschluss vom 27.10.2021, Az.: 11 C 333/21

Das Amtsgericht (AG) Bottrop hat per Beschluss im einstweiligen Verfügungsverfahren gegen die Regionale Energiewerke GmbH (BK) entschieden, dass die außerordentliche Kündigung des Strom- und Gaslieferanten unwirksam sei. Das Gericht verpflichtete die BK, den Antragssteller unverzüglich weiter mit Energie zu beliefern und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 EUR an.


Relevanz:
Das Urteil ist für all jene Unternehmen von Relevanz, die von einer außerordentlichen Kündigung ihrer Gas- und Stromlieferverträge betroffen sind.

Hintergrund: Mit Ablauf des letzten Jahres haben eine Vielzahl von Verbrauchern die außerordentliche Kündigung ihres Gas- oder Stromliefervertrages erhalten. In einer Vielzahl von Fällen war die Kündigung gleichbedeutend mit dem Einstellungsstopp der Gas- und Stromlieferung. Gerechtfertigt wurden diese Kündigungen zumeist damit, dass eine Versorgung aufgrund der Beschaffungspreise unzumutbar geworden sei oder sogar die Insolvenz drohe.

So auch in diesem Fall vor dem AG Bottrop, wo die BK aufgrund der stark gestiegenen Gaspreise den mit dem Antragsteller bestehenden Gasliefervertrag außerordentlich gekündigt und die Belieferung eingestellt hat. Gegen diese Kündigung wendete sich der Antragsteller und beantragte im einstweiligen Verfügungsverfahren, der BK die Liefereinstellung zu untersagen und ihr unverzüglich die Weiterbelieferung aufzugeben.

Der Entscheidung wurden folgende Argumente zu Grunde gelegt:

  • Eine außerordentliche Kündigung der Gaslieferverträge auf Grundlage des § 314 BGB (Kündigung aus wichtigem Grund) wurde verneint.
  • Um eine rechtswirksame außerordentliche Kündigung aussprechen zu können, muss grundsätzlich ein derart wichtiger Umstand vorliegen, der es für eine Vertragspartei unzumutbar macht, das Vertragsverhältnis aufrecht zu erhalten.
  • Der Grund darf zudem nicht in der Sphäre des Kündigenden selbst liegen.
  • Nach Auffassung des Gerichts läge das Beschaffungsrisiko und das damit verbundene Preisrisiko im unternehmerischen Risiko des Energieversorgers und rechtfertige daher keine außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB.

Wichtig für aktuell laufende oder drohende Versorgerinsolvenzen (z.B. KEHAG):

Trotz der immensen Preissteigerung auf dem Energiemarkt scheint dies keine Ausnahme der Risikozuordnung zu rechtfertigen.

Hat auch Sie eine außerordentliche Kündigung Ihres Energielieferanten erreicht, unterstützen wir Sie gern bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche. Auch im Falle einer Versorgerinsolvenz sprechen Sie uns gern an.

Autoren: Yvonne Hanke
                 Pia Weber
                Joel Pingel
                 

Der „Trick“ mit der Stromlieferantenvereinbarung – die Praxislösung für Unternehmen ohne EEG-Umlageprivileg

Vielen Unternehmen, die kein EEG-Umlageprivileg nutzen, ist nicht bewusst, dass auch sie EEG-Pflichten aufgrund von Stromweiterleitungen zu erfüllen haben. Als pragmatische Lösung schlägt die BNetzA für diese Fälle den Abschluss der sog. Stromlieferantenvereinbarung vor.

Streng genommen sind nach dem EEG auch Unternehmen, die weder die Besondere Ausgleichsregelung, noch eine EEG-Eigenversorgung nutzen, dazu verpflichtet, sich mit ihren Stromweiterleitungsfällen auseinanderzusetzen. Konkret müssten sie ihre Stromweiterleitungen nach §§ 62a, 62b EEG ermitteln und mess- und eichrechtskonform abgrenzen, sie nach § 74 EEG dem zuständigen Übertragungsnetzbetreiber melden und dafür nach § 60 EEG selbst die EEG-Umlage abführen. 

Dies würde einen erheblichen Aufwand nach sich ziehen und für den EEG-Belastungsausgleich keine Vorteile bringen. Denn betroffene Unternehmen zahlen bislang ohnehin für alle (selbst verbrauchten und an Dritte weitergeleiteten) Stromverbräuche die volle EEG-Umlage an ihren Stromhändler. Darum schlägt die BNetzA in ihrem rechtlich unverbindlichen Hinweis zum Messen und Schätzen (Konsultationsfassung) für solche Konstellationen eine pragmatische Lösung vor: 

Den Abschluss einer Stromlieferantenvereinbarung, bzw. die Mitteilung und Zahlung auf fremde Schuld (RGC berichtete hier, hier und hier). 

Dabei wird mit dem Stromhändler eine Vereinbarung (entweder im Rahmen des Stromliefervertrags oder als eigenständiges Dokument) abgeschlossen, nach der dieser, vereinfacht dargestellt, zusätzlich die EEG-Pflichten für Stromweiterleitungen des belieferten Unternehmens im Wege einer Meldung und Zahlung auf fremde Schuld erfüllt. Der zuständige Netzbetreiber ist über die Vereinbarung zu informieren. Letztlich bleibt dann alles wie gehabt: Das betroffene Unternehmen zahlt für alle Strombezugsmengen die volle EEG-Umlage an den Stromhändler und muss sich mit seinen Stromweiterleitungen aus EEG-Sicht nicht näher befassen. 

Trotzdem kann das Thema Drittmengenabgrenzung brisant bleiben. Denn gerade wenn andere energierechtliche Privilegierungstatbestände (Konzessionsabgabe (RGC berichtete), Stromsteuerentlastungen, Netzumlagenbegrenzung, etc.) in Anspruch genommen werden, ist jeweils gesondert zu prüfen, wie mit Stromweiterleitungsfällen umzugehen ist.

OLG Frankfurt am Main: Zustandekommen eines Versorgungsvertrages in Form einer sog. Realofferte trotz ausdrücklichem Widerspruch

Urteil vom 28. Juni 2019, Az.: 4 U 103/18

In dem vorstehenden Rechtsstreit zwischen einem Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EltVU) und einem Rennsport-Verein hat das OLG Frankfurt am Main entschieden, dass derjenige der die Verfügungsgewalt über einen Stromzähler hat, die Realofferte eines EltVU ungeachtet eines ausdrücklichen Widerspruchs durch den Verbrauch von Strom annimmt.
Relevanz: Das Urteil stärkt – wie bereits mehrfach auch durch den BGH bestätigt – die Position der EltVU. Für diese soll es mit einem erheblichen Aufwand verbunden sein, nachweisen zu müssen, wer die tatsächliche Verfügungsgewalt über einen Versorgungsanschluss im Versorgungszeitraum ausübt. Die Grundsätze des konkludenten Vertragsschlusses dienen daher dazu, einen vertragslosen Zustand zu vermeiden.
Hintergrund: Das klagende EltVU hatte den Rennsport-Verein auf Zahlung des Entgelts für Stromlieferungen an das Rennbahngelände in Anspruch genommen. Das Rennbahngelände stand im Eigentum der Stadt Frankfurt und war zunächst an eine Betreibergesellschaft vermietet. Diese hatte einen Stromliefervertrag mit dem EltVU und einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit dem Rennsport-Verein geschlossen. Der Verein war daraus berechtigt, die Büroräume auf dem Gelände zu nutzen und Renntage zu veranstalten. Nachdem der Mietvertrag endete und die Betreibergesellschaft beide Verträge kündigte, begrüßte das EltVU den Rennsport-Verein als neuen Kunden in der Grundversorgung. Der Verein widersprach dem und lehnte die Vergütung der Stromlieferung des EltVU ab. Er hielt der Forderung entgegen, dass er zu dem Raum, in dem sich der belieferte Stromzähler befand, keinen Zugang gehabt habe. Vertragspartner des EltVU sei außerdem trotz Kündigung weiterhin die Betreibergesellschaft gewesen.
Das OLG hat der Klage des EltVU stattgegeben und im Sinne der gängigen BGH-Rechtsprechung festgehalten, dass zwischen EltVU und Rennsport-Verein ein Stromliefervertrag zu Stande gekommen ist. In dem Leistungsangebot eines EltVU sei ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrages in Form einer sog. Realofferte zu sehen. Empfänger dieser Realofferte sei typischerweise der Grundstückseigentümer bzw. derjenige, der die Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübe. Auch bei entgegenstehender ausdrücklicher Äußerung sei von einer schlüssig erklärten Annahme der Realofferte auszugehen, weil der Abnehmer wisse, dass die Lieferung nur gegen eine Gegenleistung erbracht werde.

BGH: Zum Beginn der Fälligkeit einer Forderung auf Bezahlung einer Stromlieferung

Urteil vom 17. Juli 2019, Az.: VIII ZR 224/18

In dem vorstehenden Rechtsstreit zwischen einem Verbraucher und einem Grundversorger hat der BGH entschieden, dass der Beginn der Verjährung einer Vergütungsforderung des Stromlieferanten in der Grundversorgung die Fälligkeit seiner Forderung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 StromGVV und somit die Erteilung einer Abrechnung voraussetzt. Dies gilt auch dann, wenn der Versorger nicht innerhalb der in § 40 Abs. 4 EnWG bestimmten Fristen abgerechnet hat. 

Relevanz: Das Urteil ist für die Frage, bis zu welchem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt der Grundversorger bislang nicht zur Abrechnung gebrachte Forderungen aus der Belieferung mit Strom noch zur Abrechnung bringen kann, relevant. Hiernach ist es dem Grundversorger möglich, sich über die regelmäßige Verjährungsdauer von drei Jahren hinweg zu setzen und auch weiter in der Vergangenheit liegenden Forderungen aus der Lieferung von Strom im Rahmen der Grundversorgung geltend zu machen.

Hintergrund: Ein Grundversorgungsunternehmen hatte zunächst über einen Zeitraum von 24 Monaten Strom im Rahmen der Grundversorgung geliefert und die Lieferung während dieses Zeitraumes nicht zur Abrechnung gebracht. Als der Grundversorger die Abrechnung dann rund sechs Monate nach Beendigung der Grundversorgung in zwei Schlussrechnungen zur Abrechnung brachte, verweigerte der Verbraucher die Zahlung und berief sich im Rahmen eines mehr als drei Jahre später eingeleiteten Mahnverfahrens und dem sich anschließenden Gerichtsverfahren auf die Verjährung der Forderung.

Der BGH ist der Auffassung, die Fälligkeit der Forderung sei erst mit Erteilung der Schlussrechnungen eingetreten, sodass hierdurch auch erst der Verjährungslauf begonnen habe. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, dass der Verjährungsbeginn so in das Belieben des Versorgers gestellt wird.

Die in diesem Zusammenhang geäußerte Annahme des BGH, wonach der Versorger kein Interesse daran habe, die Fälligkeit und Durchsetzbarkeit seines Anspruches bewusst hinauszuzögern, sollte sehr kritisch hinterfragt werden.