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Transparenzpflicht gilt nicht für Bewertungsmethode

Ein öffentlicher Auftraggeber ist nach dem vergaberechtlichen Transparenzgrundsatz verpflichtet, die bereits aufgestellten Zuschlagskriterien und deren Gewichtung bei der Ausschreibung bekanntzugeben. Für die Bewertungsmethode gilt dies nach der Rechtsprechung jedoch nicht: Sie muss in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen nicht aufgeführt werden.

Der Vergabesenat des LG Frankfurt a.M. nutzte Mitte April 2022 die Gelegenheit, die Rechtsprechung zum Umfang der Transparenzpflicht zu bestätigen. In seinem Beschluss stellte er dar, dass die vergaberechtlichen Bestimmungen eine Pflicht zur Bekanntmachung der Zuschlagskriterien vorsehen. Deshalb müssen öffentliche Auftraggeber die Zuschlagskriterien in ihren Auftragsbekanntmachungen und Vergabeunterlagen aufführen. Da auch die Gewichtung der Kriterien zueinander von der Transparenzpflicht erfasst wird, muss er zudem alle Unter- oder Unterunterkriterien bekanntgeben. Dies soll sicherstellen, dass Bieter die beabsichtigte Gewichtung der Zuschlagskriterien erkennen können.

Anders liegt es aber bei der Bewertungsmethode. Sie ist nach Ansicht der Rechtsprechung nicht als Teil der Vergabeunterlagen bekannt zu machen, sondern kann noch im Laufe des Verfahrens bestimmt werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die später festgelegte Bewertungsmethode die Zuschlagskriterien nicht im Nachhinein abändert und keine Diskriminierung zu befürchten ist. Zudem darf die Bewertungsmethode nichts enthalten, was die Vorbereitung des Angebots hätte beeinflussen können.

Hinter dieser Rechtsprechung steht das Ziel, es einem Bieter zu ermöglichen, sein Angebot so optimal wie möglich nach den Bedürfnissen des Auftraggebers gestalten zu können. Ein Bieter soll durch die Auftragsbekanntmachung und die Vergabeunterlagen erkennen können, auf welche Gesichtspunkte es dem Auftraggeber ankommt. Hierfür ist nach Ansicht der Gerichte jedoch nicht entscheidend, dass der Bieter von vorneherein weiß, wie sein Angebot bewertet wird: Er muss nicht wissen, welchen bestimmten Erfüllungsgrad sein Angebot auf der Grundlage der Zuschlagskriterien erreichen muss, um eine bestimmte Punktzahl eines Notensystems o.ä. zu erhalten. Dem Transparenzgebot wird genügt, solange der Bieter durch die ihm zur Verfügung stehenden Informationen ermitteln kann, welche Kriterien und Modalitäten der Auftraggeber zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots berücksichtigen wird.

Für Fragen steht Ihnen Ihre Ansprechpartnerin Frau Prof. Dr. Dageförde (zum Profil von Frau Prof. Dr. Dageförde) gern zur Verfügung.

„Diesen Beitrag hat unser Kooperationspartner, die Kanzlei DAGEFÖRDE Öffentliches Wirtschaftsrecht, verfasst, die für die Inhalte verantwortlich ist und für Rückfragen gern zur Verfügung steht.“

Autorin: Prof. Dr. Angela Dageförde

Lieferengpässe und Preissteigerungen als Folge des Ukraine-Krieges

Mit einem Erlass hat der Bund auf die Baustoffpreissteigerungen reagiert: Preisanpassungen sind bei öffentlichen Bauleistungen künftig möglich.

Der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, führt auch auf deutschen Baustellen zu Problemen. Deutschland bezieht einen erheblichen Anteil seines Baumaterials aus Russland und der Ukraine. So kommen u.a. rund 30 Prozent des Baustahls sowie 40 Prozent des Roheisens aus diesen Ländern. Durch die Kriegsereignisse und die verhängten weltweiten Sanktionen gegen Russland sind viele Lieferketten gestört. Dies führt dazu, dass viele Baustoffe wie Baustahl, Roheisen sowie erdölbasierte Produkte nicht mehr zu bekommen sind oder erheblich teurer geworden sind. Ferner sind auch die Kosten für Energie- und Kraftstoffe enorm gestiegen.

Um den Auswirkungen für laufende und zukünftige Baumaßnahmen des Bundes entgegenzuwirken, hat das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen mit Erlass vom 25. März 2022 Praxishinweise zum Umgang mit den Lieferengpässen und Preissteigerungen herausgegeben. Sie gelten ab sofort und sind zunächst bis zum 30.06.2022 befristet. Insbesondere dürfen in neuen Vergabeverfahren Verträge über öffentliche Bauaufträge mit sog. Preisgleitklauseln versehen werden, die eine Anpassung an die Marktentwicklung ermöglichen. In Einzelfällen können auch die Preise in bereits bestehenden Verträgen angepasst werden.

Was ist eine Stoffpreisgleitklausel?

Eine Stoffpreisgleitklausel ist eine vertragliche Regelung, durch die der Auftragnehmer und der Auftraggeber keinen Festpreis für einen Baustoff oder eine Leistung, sondern lediglich einen fortzuschreibenden Basiswert vereinbaren. Sie kommt zur Anwendung, wenn ein Auftragnehmer keinen Einfluss auf die Entwicklung der Einkaufspreise für Baustoffe hat bzw. die Einkaufspreise der Stoffe und Materialien nicht im Voraus kalkulieren kann. Dadurch wird das Risiko steigender oder fallender Preise für Baustoffe möglichst gleich auf die Auftraggeber und Auftragnehmer verteilt.

Da Preissteigerungen grundsätzlich zum allgemeinen unternehmerischen Risiko des Bauunternehmens als Auftragnehmer gehören, sind Stoffpreisgleitklauseln nur ausnahmsweise zulässig.

Stoffpreisgleitklauseln für Betriebsstoffe in neuen und laufenden Vergabeverfahren

Mit dem Erlass des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen vom 25. März 2022 wird festgestellt, dass bestimmte Baustoffe wie Stahl, Aluminium und Erdölprodukte in besonderem Maße Preisveränderungen ausgesetzt sind und ein nicht kalkulierbares Preisrisiko für diese Stoffe zu erwarten ist. Sofern ein Zeitraum von mehr als einem Monat zwischen Angebotsabgabe und Lieferung bzw. Fertigstellung liegt und der Stoffkostenanteil des betroffenen Stoffes wertmäßig mindestens ein Prozent der von der Vergabestelle geschätzten Auftragssumme beträgt, können Stoffpreisgleitklauseln verwendet werden. Dies gilt insbesondere für neue Vergabeverfahren. Die Vergabeunterlagen müssen dann ein Formblatt mit Aufführung der betroffenen Stoffe, die der Preisgleitung unterworfen sind, enthalten.

In einem laufenden Vergabeverfahren, bei dem das Angebot noch nicht geöffnet worden ist, können Stoffpreisgleitklauseln nachträglich einbezogen werden. Sofern die Angebotseröffnung bereits erfolgte, ist das Verfahren zur Vermeidung von Streitigkeiten bei der Ausführung in den Stand vor der Angebotseröffnung zurückzuversetzen und die Stoffpreisgleitklausel einzubeziehen.


Anpassung bei bestehenden Verträgen?

Abgeschlossene Verträge sind grundsätzlich einzuhalten. Deshalb ist der Unternehmer bei bestehenden Verträgen verpflichtet, seine Leistungen wie beauftragt auszuführen. Allerdings ist nach dem Erlass des Bundesministeriums eine Anpassung im Einzelfall nachträglich möglich, wenn Materialien wie Stahl, Aluminium oder Erdölprodukte nachweislich nicht oder vorübergehend nicht, auch nicht gegen höhere Einkaufspreise als ursprünglich kalkuliert, durch das Unternehmen beschaffbar sind. In einem solchen Fall wird ab sofort angenommen, dass ein Fall höherer Gewalt bzw. ein nicht abwendbares Ereignis vorliegt. Dadurch verlängert sich die Ausführungsfrist um die Dauer der Nichtlieferbarkeit der Stoffe und es erfolgt ein angemessener Aufschlag für die Wiederaufnahme der Arbeiten. Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche gegen das Unternehmen entstehen nicht.

Für den Fall, dass Baumaterialien, die in dem Erlass aufgezählt sind, nur gegen einen höheren Einkaufspreis als ursprünglich kalkuliert beschafft werden können, sollen die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage zur Anwendung kommen. Dies bedeutet, dass die betroffenen Positionen im bestehenden Vertrag angepasst werden können. Eine Anpassung kann jedoch nicht allgemein vorgenommen werden. Vielmehr sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Im konkreten Fall ist zu ermitteln, ob ein Festhalten am unveränderten Vertrag für die Parteien unzumutbar ist. Falls auch eine Preisanpassung nicht weiterhilft, kommt ein Rücktritt oder eine Kündigung in Betracht.

Sofern es sich um eine Preisanpassung eines bestehenden Vertrages handelt, dem ein EU-weites Vergabeverfahren zugrunde liegt, ist regelmäßig kein neues Vergabeverfahren durchzuführen. Dies ist der Fall, wenn die Änderung aufgrund von Umständen erforderlich geworden ist, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte und sich der Gesamtcharakter des Vertrages nicht verändert.

Ferner kann ein Vertrag in begründeten Ausnahmefällen zum Nachteil des Bundes geändert oder aufgehoben werden. Ein solcher Ausnahmefall liegt dann vor, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens bei Vertragserfüllung infolge ihm nicht zurechenbarer Umstände erheblich verschlechtern würde. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat angekündigt, dass seine Zustimmung bei der Aufhebung oder Änderung von Vertragen ab einem Betrag von 125.000 Euro, der zum Nachteil des Bundes entstehen würde, erforderlich ist. Bei Anpassungen, die zu einem Nachteil unter diesem Wert bleiben, können die entsprechenden Stellen selbst entscheiden.


Welche Schritte muss ein Unternehmen ergreifen, um eine Preisanpassung zu erreichen?

Sofern ein Unternehmen eine Preisanpassung begehrt, muss es diese selbst beantragen. Es hat zudem darzulegen, dass die Voraussetzungen für die Preisanpassung erfüllt sind.

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Autor: Florian Bretzel

Reform des öffentlichen Preisrechts

Das öffentliche Preisrecht wird von der Verordnung über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (kurz: VO PR Nr. 30/53) und den Leitsätzen für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten (kurz: LSP) geprägt. Zum 01.04.2022 treten in beiden Rechtsquellen Änderungen in Kraft, die in ihrer Bedeutung jedoch hinter der ursprünglich geplanten Novellierung zurückbleiben.

Was ist das öffentliche Preisrecht?

Ziel des öffentlichen Preisrechts ist es, eine zu hohe Belastung der Haushalte von öffentlichen Auftraggebern durch überteuerte Beschaffungen im Interesse der Allgemeinheit zu vermeiden. Hierzu legt es einen selbständigen wirtschaftlichen Rahmen fest, dem alle öffentlichen Aufträge von Bund, Ländern und Kommunen hinsichtlich der Preisbildung unterliegen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem den Zuschlag erteilten Auftragnehmer vorrangig die im Wirtschaftsverkehr für den jeweiligen Beschaffungsgegenstand üblichen Marktpreise zu vereinbaren. Dies bedeutet zum einen, dass der private Auftragnehmer daran gehindert ist, höhere Preise zu verlangen als die, die er auf dem freien Markt ansonsten erzielen kann. Zum anderen darf der öffentliche Auftraggeber keine vom Marktpreis abweichenden Preise vorschreiben, sondern ist an die üblichen Marktpreise gebunden. Der Vorrang des Marktpreises gilt überall dort, wo ein funktionierender Markt vorhanden ist, d.h. wo ein Wettbewerb aufgrund einer Vielzahl von Anbietenden und Nachfragenden stattfindet und eine marktgängige Preisbildung möglich ist.

Werden jedoch Leistungen beschafft, für die es keinen funktionierenden Markt gibt (z.B. weil nur eine sehr geringe Zahl an Anbietern existiert oder – soweit zulässig – kein offener Wettbewerb durchgeführt wird), so dürfen ausnahmsweise sog. Selbstkostenpreise vereinbart werden. Sie werden u.a. durch die Berücksichtigung der tatsächlich beim Auftragnehmer angefallenen Kosten zuzüglich eines Gewinnzuschlags gebildet.

Was regeln die Verordnung PR Nr. 30/53 und die LSP?

Die VO PR Nr. 30/53 regelt insbesondere das oben beschriebene Regel-Ausnahmeverhältnis hinsichtlich des Vorrangs des Marktpreises und der Ausnahme der Selbstkostenpreise („Preistreppe“). Sie legt u.a. fest, dass bei marktgängigen Leistungen der jeweilige Marktpreis nicht überschritten werden darf. Ferner bestimmt sie, dass Selbstkostenpreise grundsätzlich als Festpreise, basierend auf einer Vorkalkulation, ausgestaltet sein sollen. Sofern ein Festpreis bei Vertragsschluss nicht bestimmt werden kann, darf ein vorläufiger Preis, ein sog. Selbstkostenrichtpreis, vereinbart werden. Sobald die Grundlagen für die Kostenkalkulation überschaubar sind, ist der Selbstkostenrichtpreis in einen Festpreis umzuwandeln. Sollte jedoch die Kalkulationsgrundlage auch bis zum Abschluss der Leistungserstellung nicht überschaubar sein, so darf bei Vertragsschluss ausnahmsweise ein sog. Selbstkostenerstattungspreis bestimmt werden. Dieser hängt letztlich von einer Kalkulation nach Fertigstellung des Auftrags ab. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die VO PR Nr. 30/53 ist, dass der Auftrag als mit dem preisrechtlich zulässigen Preis geschlossen gilt; d. h. die Preisprüfungsbehörde ist berechtigt, ggf. einen neuen (niedrigeren) Preis als vereinbart festzusetzen, der dann im Rahmen der Auftragsausführung zugrunde zu legen ist.

Angesichts des ausdifferenzierten Systems der Selbstkostenpreisbildung ergänzt die LSP die VO PR Nr. 30/53 im Anhang zur Verordnung um detaillierte Bestimmungen, die für die Selbstkostenpreisbildung gelten. Die LSP enthalten Kalkulationsvorgaben für die einzelnen, in die Preisbildung eingehenden, Kostenfaktoren.

Was wird sich zum 01.04.2022 ändern?

Ursprünglich war geplant, die VO PR Nr. 30/53 einer umfangreichen Novellierung und Modernisierung zu unterziehen. Dieses Ziel wurde jedoch nicht umgesetzt. Vielmehr treten zum 01.04.2022 hauptsächlich punktuelle Veränderungen in Kraft, die in weiten Teilen lediglich die ohnehin übliche Praxis bestätigen. So werden beispielsweise Definitionen der Begriffe „marktgängige Leistung“ oder „verkehrsübliche Preise“ eingefügt, die dem bisherigen Verständnis der Begriffe in der Praxis entsprechen. Ferner wird die Mindestaufbewahrungsfrist für die Unterlagen, anhand derer eine Preisprüfung durch die zuständige Behörde stattfindet, verlängert. Jedoch sind auch einige entscheidende Neuerungen der VO PR Nr. 30/53 vorgesehen. So reichen zukünftig bereits zwei (!) zuschlagsfähige Angebote im Wettbewerb aus, damit von einem „Marktpreis“ gesprochen werden kann.

Im Rahmen der LSP sind hauptsächlich redaktionelle Umformulierungen erfolgt. Inhaltliche Neuerungen sind damit – abgesehen von Änderungen hinsichtlich der Berechnung von kalkulatorischen Zinsen und kalkulatorischem Gewinn – nicht verbunden.

Weitergehende Veränderungen am Preisrecht sollen jedoch noch in dieser Legislaturperiode vorgenommen werden. Es bleibt somit abzuwarten, ob und ggf. wann eine „große Preisrechtsnovelle“ umgesetzt wird.

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Autor: Florian Bretzel

Vergabe von Strom- und Gaskonzessionsverträgen unter Beteiligung eines Eigenbetriebs bzw. einer Eigengesellschaft – was gilt es zu beachten?

Der BGH stellt hohe Anforderungen an die interne personelle und organisatorische Trennung in einer Verwaltung bei einer Konzessionsvergabe Strom oder Gas, an der sich ein Eigenbetrieb oder eine Eigengesellschaft der Gemeinde beteiligt.

Viele Städte und Gemeinden verfügen über eigene Stadtwerke, die sich an einem gemeindlichen Verfahren zur Neuvergabe des Strom- oder Gaskonzessionsvertrages beteiligen. In diesen Konstellationen ist die Gemeinde in einer Doppelfunktion: Sie ist Vergabestelle für das Konzessionierungsverfahren, aber auch Alleingesellschafter oder zumindest beherrschender Gesellschafter des Stadtwerks. Als Vergabestelle ist die Gemeinde verpflichtet, ein diskriminierungsfreies und transparentes Konzessionierungsverfahren durchzuführen. Zugleich verfolgt die Gemeinde mit dem Stadtwerk wirtschaftliche und ggf. auch politische Ziele. Verwaltungsmitarbeiter und Mitglieder politischer Gremien sind in der Gesellschafterversammlung und weiteren Organen der Gesellschaft, wie beispielsweise einem Aufsichtsrat, vertreten. Hieraus ergibt sich eine Interessenkollision, die die Gemeinde bei der rechtskonformen Durchführung des Konzessionierungsverfahrens vor große Herausforderungen stellt.

Der BGH hatte bereits in den Urteilen „Gasnetz Leipzig“ vom 28.01.2020, Az. EnZR 99/18 und „Gasnetz Berlin“ vom 09.03.2021, Az. KZR 55/19 zu dieser Konstellation Stellung genommen. In dem Urteil „Stadt Bargteheide“ vom 12.10.2021, Az. EnZR 43/20, hat sich der BGH erneut mit der Thematik befasst.

In seinem jüngsten Urteil hat der BGH entschieden, dass die als Vergabestelle tätige Einheit der Gemeindeverwaltung personell und organisatorisch vollständig von dem Eigenbetrieb oder der Eigengesellschaft zu trennen ist (Leitsatz 1). Eine solche vollständige Trennung erfordere „eine Organisationsstruktur, die sicherstellt, dass ein Informationsaustausch zwischen den für die Vergabestelle und den für den Eigenbetrieb oder die Eigengesellschaft handelnden Personen nur innerhalb des hierfür vorgesehenen Vergabeverfahrens für das Wegerecht erfolgt, so dass bereits durch strukturelle Maßnahmen – und damit nach dem äußeren Erscheinungsbild – die Bevorzugung des Eigenbetriebs oder der Eigengesellschaft und damit der „böse Schein“ mangelnder Objektivität der Vergabestelle vermieden wird.“ (Leitsatz 2)

Der BGH stützte seine Entscheidung auf den Umstand, dass ein Informationsaustausch zwischen den für die Eigengesellschaft und das Konzessionierungsverfahren handelnden Mitarbeitern außerhalb des Konzessionierungsverfahrens nicht ausgeschlossen werden konnte. Der Mitarbeiter, der für die Vergabestelle tätig wurde, war dem Mitarbeiter unterstellt, der zugleich Geschäftsführer der Stadtwerke war. Der Mitarbeiter könne nach Ansicht des BGH zum „Diener zweier Herren“ geworden sein, was die Gefahr von Loyalitäts- und Interessenkonflikten birgt. Damit ist die Möglichkeit nicht ausgeräumt, dass das Angebot der Eigengesellschaft der Gemeinde durch die Vergabestelle bevorzugt wurde.

Dabei hat der BGH noch einmal deutlich gemacht, dass bei einem Verstoß gegen das Trennungsverbot eine unbillige Behinderung von Mitbewerbern bereits dann nicht ausgeschlossen ist, wenn nicht zweifellos ausgeschlossen werden kann, dass sich der Verstoß auf das Ergebnis des Vergabeverfahrens ausgewirkt haben kann.

Insofern hat die Gemeinde keine ausreichende Organisationsstruktur geschaffen, die eine neutrale und diskriminierungsfreie Vergabeentscheidung sicherstellt. Sie konnte den „bösen Schein“ mangelnder Objektivität der Vergabestelle nicht entkräften.

Das Urteil verdeutlicht, dass eine Gemeinde im Falle der Beteiligung eines städtischen Unternehmens am Konzessionierungsverfahren Strom und Gas sehr sorgfältig die Vergabestelle und die Beteiligung am Unternehmen trennen sollte. Eine solche Trennung muss vor Beginn des Konzessionierungsverfahrens erfolgen und sowohl personelle, als auch organisatorische Strukturen berücksichtigen. Andernfalls entspricht das Konzessionierungsverfahren nicht den rechtlichen Anforderungen und ist angreifbar.

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Autor: Dr. jur. Sven Höhne

Negative Eintragung im Wettbewerbsregister – Wie kann sie vorzeitig gelöscht werden?

Nach einer erfolgreichen Selbstreinigung können Unternehmen die Löschung des Eintrags im Wettbewerbsregister beantragen. Wie ein solcher Antrag zu stellen ist und welchen Inhalt er haben muss, lässt sich den kürzlich veröffentlichten Leitlinien und Hinweisen des Bundeskartellamtes entnehmen.

Unternehmen können von der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen ausgeschlossen werden, wenn es bei ihnen zu Wirtschaftsdelikten oder anderen erheblichen Straftaten gekommen ist. Das neu geschaffene Wettbewerbsregister ermöglicht öffentlichen Auftraggebern die Überprüfung, ob bei Bietern Ausschlussgründe vorliegen. Ab einem Auftragswert von 30.000 Euro sind öffentliche Auftraggeber verpflichtet, vor der Erteilung des Zuschlags elektronisch abzufragen, ob der Bieter im Wettbewerbsregister wegen Wirtschaftsdelikten oder anderer Straftaten eingetragen ist. Außerdem müssen sie seit dem 01.12.2021 bestimmte (rechtskräftige) Straftaten und Ordnungswidrigkeiten melden.


Möglichkeit der Selbstreinigung

Eine negative Eintragung kann also zum Ausschluss von Vergabeverfahren führen. Um einer „faktischen“ Vergabesperre zu entgehen, können Betroffene organisatorische und personelle Maßnahmen ergreifen, um künftiges Fehlverhalten im Unternehmen zu vermeiden. Sodann können sie die vorzeitige Löschung des Eintrags im Wettbewerbsregister beantragen.


Was muss bei dem Antrag auf vorzeitige Löschung wegen Selbstreinigung beachtet werden?

Seit Ende November stehen nun (finale) Leitlinien sowie praktische Hinweise zur Verfügung, die von den betroffenen Unternehmen genutzt werden können, um einen Antrag auf vorzeitige Löschung zu stellen. Zunächst wird in den Hilfestellungen darauf hingewiesen, dass ein Unternehmen die gesetzlichen Anforderungen erfüllen muss, die an die Selbstreinigung gestellt werden. Zum Beispiel müssen im Falle der Steuerhinterziehung die Steuern nachgezahlt werden. Jeder Schaden, der durch das Fehlverhalten verursacht worden ist, ist auszugleichen. Zudem hat das Unternehmen geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um weiteres Fehlverhalten zu vermeiden.

In einem zweiten Schritt muss das Unternehmen dem Bundeskartellamt alle Tatsachen, die für die Bewertung der Selbstreinigung notwendig sind, darlegen und beweisen. Die Leitlinien und praktische Hinweise weisen darauf hin, dass der Antrag schlüssig sein muss. Er sollte so aufbereitet sein, dass das Bundeskartellamt im Idealfall allein auf Basis des Antrags (also nach Aktenlage) entscheiden kann, ob die Selbstreinigung erfolgreich war. Das antragstellende Unternehmen muss demnach alle notwendigen Tatsachen darstellen und die erforderlichen Beweismittel vorlegen. Der Sachverhalt sollte übersichtlich und präzise zusammengefasst werden. Er muss alle wesentlichen Angaben zu den Tathandlungen, beteiligten Personen, Tatzeiträumen und Tatfolgen enthalten. Sofern die Registerbehörde es für erforderlich hält, kann sie Anhörungen mit Vertretern der Unternehmensleitung oder sonstigen Führungspersonen durchführen.

Werden unrichtige oder irreführende Angaben gemacht, relevante Umstände verschwiegen oder ist der Antrag insgesamt unzureichend, so trägt das jeweilige Unternehmen das Risiko, dass der Antrag auf Löschung abgelehnt wird.

Laut den praktischen Hinweisen des Bundeskartellamts sollte darauf verzichtet werden, mit der Antragstellung „ordnerweise“ Anlagen zu übersenden. Der Antrag soll lediglich eine vollständige sowie nachvollziehbare Zusammenfassung des Sachverhalts enthalten. Zwar ist der Verweis auf Anlagen grundsätzlich möglich. Jedoch sollte mit der Registerbehörde im Einzelfall abgestimmt werden, ob und welche weiteren Unterlagen vorzulegen sind.

Fazit: Betroffene Unternehmen sollten sich im Falle einer negativen Eintragung im Wettbewerbsregister mit der Möglichkeit der Selbstreinigung frühzeitig auseinandersetzen. Auf die praktischen Hinweise und Leitlinien des Bundeskartellamts können sie zurückgreifen, um einen erfolgreichen Löschungsantrag zu stellen.

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Autorin: Prof. Dr. Angela Dageförde

Neue EU-Schwellenwerte für 2022 und 2023

EU überprüft vergaberechtliche Schwellenwerte und passt sie für die kommenden zwei Jahre neu an.

In ihrem Amtsblatt hat die EU kürzlich bekannt gegeben, dass alle Schwellenwerte für öffentliche Aufträge zum Jahreswechsel hin leicht angehoben werden. Danach gelten ab dem 01.01.2022 neue Schwellenwerte für EU-weite Vergabeverfahren. Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge des Bundes beträgt der Schwellenwert zukünftig 140.000 Euro, für Liefer- und Dienstleistungen übriger Auftraggeber 215.000 Euro. Bei Bauleistungen aller Art und Konzessionsvergaben, d.h. der Vergabe eines Nutzungsrechts an einem Gemeingut, liegt er zukünftig bei 5.382.000 Euro. Sofern Sektorenauftraggeber Liefer- und Dienstleistungen für Sektorentätigkeiten ausschreiben – etwa im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung – beträgt er in den Jahren 2022 und 2023 431.000 Euro. Die bisherigen Schwellenwerte für die Jahre 2020 und 2021 waren der Höhe nach jeweils etwas niedriger angesetzt.

Was sind EU-Schwellenwerte?

Das deutsche Vergaberecht unterscheidet zwischen öffentlichen Aufträgen, deren Auftragsvolumen einen bestimmten Schwellenwert erreichen oder überschreiten (sog. Oberschwellenbereich) und öffentlichen Aufträgen, deren Auftragswerte unter den jeweiligen Schwellenwerten liegen (sog. Unterschwellenbereich). Entsprechend dieser Differenzierung gelten unterschiedliche vergaberechtliche Vorgaben.


Welche Bedeutung hat die Differenzierung nach den EU-Schwellenwerten?

Aufträge von geringerem Volumen sind für den grenzüberschreitenden Handel und damit den europäischen Binnenmarkt weniger interessant. Daher besteht nur für öffentlichen Aufträge im Oberschwellenbereich die Pflicht, entsprechende Aufträge EU-weit auszuschreiben. Hierfür müssen zwingend anzuwendende Ausschreibungsverfahren und Bekanntmachungsmuster berücksichtigt werden, die von der EU-Kommission vorgegeben werden. Zudem kann ein unterlegener Bieter oder Bewerber nur im Oberschwellenbereich die Verletzung von Verfahrensvorschriften im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens vor den Vergabekammern und den Oberlandesgerichten geltend machen. Unterhalb des Schwellenwertes besteht jedenfalls im Grundsatz kein durchsetzbarer Anspruch des Bieters darauf, dass die vergaberechtlichen Vorschriften eingehalten werden.

Warum werden die EU-Schwellenwerte regelmäßig neu festgesetzt?

Die EU-Schwellenwerte werden alle zwei Jahre geprüft und gegebenenfalls neu festgesetzt, um Wechselkursschwankungen auszugleichen, die sich möglicherweise auf die öffentlichen Beschaffungsmärkte von Staaten für den Wettbewerb von Unternehmen in anderen Staaten auswirken. Die Anpassung wird durch das Übereinkommen der Welthandelsorganisation über das öffentliche Beschaffungswesen geregelt und erfolgt über ein rein mathematisches Verfahren. Es ist daher kein Ergebnis einer politischen Willensbildung der EU.

„Diesen Beitrag hat unser Kooperationspartner, die Kanzlei DAGEFÖRDE Öffentliches Wirtschaftsrecht, verfasst, die für die Inhalte verantwortlich ist und für Rückfragen gern zur Verfügung steht.“

Autorin: Prof. Dr. Angela Dageförde

Das Wettbewerbsregister aus Unternehmersicht

Das bundesweite Wettbewerbsregister stellt öffentlichen Auftraggebern, Sektorenauftraggebern und Konzessionsgebern für Vergabeverfahren Informationen über Unternehmen zur Verfügung. Aber was bedeutet eine Eintragung im Register? Und wie bekommen betroffene Unternehmen eine Eintragung wieder gelöscht?

Im März dieses Jahres nahm das Bundeskartellamt den Betrieb des bundesweiten Wettbewerbsregisters auf. Aktuell steht noch eine Registrierung öffentlicher Auftraggeber aus. Ab dem 01.12.2021 müssen öffentliche Auftraggeber bestimmte (rechtskräftige) Straftaten und Ordnungswidrigkeiten melden, damit andere öffentliche Auftraggeber dies in ihren Ausschreibungen berücksichtigen können. Dies führt unter Umständen zum Ausschluss des Angebots vom Vergabeverfahren. Vor einer Eintragung werden Unternehmen deshalb angehört. 

Alle öffentlichen Auftraggeber in Deutschland sind ab einem Auftragswert von 30.000 Euro verpflichtet, vor der Erteilung des Zuschlags elektronisch abzufragen, ob der Bieter im Wettbewerbsregister eingetragen ist. Sektorenauftraggeber sowie Konzessionsgeber sind hierzu ab Erreichen der sogenannten EU-Schwellenwerte verpflichtet. Auch unterhalb der genannten Wertgrenze besteht die Möglichkeit einer Abfrage.

Ab dem 1.6.2022 haben Unternehmen die Möglichkeit, Auskunft über den sie betreffenden Inhalt des Wettbewerbsregisters zu erlangen. 

Je nach Schwere des begangenen Rechtsverstoßes werden die Unternehmen in drei bis fünf Jahren aus dem Register wieder gelöscht.

Unternehmen haben zudem die Möglichkeit, die vorzeitige Löschung aus dem Register zu beantragen. Voraussetzung ist eine erfolgreiche Selbstreinigung. Selbstverständlich gibt es auch Rechtsschutzmöglichkeiten für betroffene Unternehmen, wenn das Bundeskartellamt (BKartA) die Löschung ablehnt. 

Auf ihrer Internetpräsenz bietet das BKartA neben praktischen Hinweisen einen Entwurf der „Leitlinien zur vorzeitigen Löschung einer Eintragung aus dem Wettbewerbsregister wegen Selbstreinigung“ an. 

Fazit: Mit dem neuen bundesweiten Wettbewerbsregister sollten sich Unternehmen intensiver auseinandersetzen, die regelmäßig an Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber oder Konzessionsgeber teilnehmen. Eine negative Eintragung kann zu einer faktischen „Vergabesperre“ führen. Betroffene Unternehmen sollten sich rechtzeitig über Selbstreinigungsmaßnahmen informieren. Mit einem proaktiven Antrag auf Löschung nach erfolgreicher Selbstreinigung kann dann die öffentliche Hand als Kunde erhalten werden. 

„Diesen Beitrag hat unser Kooperationspartner, die Kanzlei DAGEFÖRDE Öffentliches Wirtschaftsrecht, verfasst, die für die Inhalte verantwortlich ist und für Rückfragen gern zur Verfügung steht.“

Autor: Prof. Dr. Angela Dageförde (DAGEFÖRDE Öffentliches Wirtschaftsrecht)

Öffentliche Beschaffung als wichtiger Konjunkturtreiber

Nach Veröffentlichung neuer Zahlen: Die OECD stellt Steigerung des Beschaffungsvolumens und wachsende Bedeutung von sozialen Werten in der Vergabepraxis fest.

In ihrem jüngsten Bericht „Government at a Glance 2021“ berichtet die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development), dass die Corona-Pandemie im Jahr 2020 zu einem Ausbruch des öffentlichen Beschaffungsvolumens nach oben geführt habe. Zwar habe der Anteil des öffentlichen Beschaffungsvolumens am Bruttoinlandsprodukt bereits in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zugenommen. Aufgrund der gesammelten Daten von 22 der 38 OECD-Mitgliedstaaten stellte man nun fest, dass dieser Anteil seit der Corona-Pandemie noch einmal deutlich angestiegen sei: von 13,7 Prozent im Jahr 2019 auf knapp 15 Prozent im Jahr 2020. Zurückzuführen sei dies laut dem Bericht des OECD u.a. auf eine Steigerung des Beschaffungsvolumens während der Corona-Krise.
Beschaffungen im Gesundheitssektor bilden laut OECD den höchsten Einzelanteil gemessen am Volumen aller öffentlichen Ausgaben: Im Durchschnitt liege er in allen OECD-Staaten bei knapp 30 Prozent, in Deutschland sogar bei über 36 Prozent. Die nächstgrößeren Bereiche des öffentlichen Beschaffungswesens sind die der Wirtschaft, Bildung, Verteidigung und sozialen Sicherung. 
Der Anstieg des öffentlichen Beschaffungsvolumens gemessen am BIP beweist, dass die öffentliche Beschaffung auch in Krisenzeiten ein wichtiger Konjunkturtreiber ist. Die darin liegende Nachfragemacht ermöglicht es öffentlichen Auftraggebern, durch den Einkauf innovativer, umweltfreundlicher und nachhaltiger Leistungen Märkte zu fördern. In den meisten OECD-Staaten wird die öffentliche Auftragsvergabe dazu genutzt, Märkte zu verantwortlichen wirtschaftlichen Handeln (sog. responsible business conduct – RBC) zu lenken. Die vergaberechtliche Berücksichtigung von umweltbezogenen Zielen wurde bereits in 27 OECD-Staaten gesetzlich vorgeschrieben (wir berichteten: Der Bund kauft künftig klimafreundlicher ein). Zudem verfügt die Mehrheit der Staaten über Regelungen zu Menschenrechten. Allerdings bestehen – so die OECD – in weniger als der Hälfte der OECD-Staaten Vorgaben zur Integrität bezogen auf die gesamte Lieferkette. Maßnahmen gegen Lieferanten, die die RBC-Standards verletzen, sähen derweil nur einzelne Mitgliedstaaten vor.
Der Bericht weist außerdem darauf hin, dass die vergaberechtlichen Regelungen in vielen OECD-Staaten noch nicht hinreichend auf Krisen- und Notsituationen ausgelegt sind. Nur ein Bruchteil der Staaten verfüge bereits über eine Beschaffungsstrategie als Teil einer Krisenvorsorge. Jedoch hätten vor allem die Corona-Pandemie und auch einige regionale Naturkatastrophen verdeutlicht, dass es insbesondere in Krisensituationen auf schnelle und effiziente Beschaffungsmöglichkeiten ankomme, um essentielle Güter zeitnah einkaufen und zur Verfügung stellen zu können (wir berichteten: Bundesregierung: Vergaberecht für Krisen- und Notsituationen reformieren). 
Fazit: Öffentliche Aufträge gewinnen zunehmend gerade für solche Unternehmen an Bedeutung, die ihren Fokus auf umwelt- und klimafreundliche sowie nachhaltige Angebote legen. 
„Diesen Beitrag hat unser Kooperationspartner, die Kanzlei DAGEFÖRDE Öffentliches Wirtschaftsrecht, verfasst, die für die Inhalte verantwortlich ist und für Rückfragen gern zur Verfügung steht.“

Bundesregierung: Vergaberecht für Krisen- und Notsituationen reformieren

Als Reaktion auf die Corona-Pandemie und die Flutkatastrophe in Westdeutschland fordert das Bundeswirtschaftsministerium die EU-Kommission auf, das Vergaberecht zu reformieren, um in Krisen- und Notsituationen schneller und effizienter beschaffen zu können.

Neben der Corona-Pandemie hat auch die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz aus Sicht der Bundesregierung die Schwächen des geltenden Vergaberechts aufgezeigt: Die Beurteilung der Frage, ob die strengen Regeln des Vergaberechts anzuwenden oder Ausnahmeregelungen einschlägig sind, ist in Krisen- und Notsituationen oft mit erheblicher rechtlicher Unsicherheit verbunden.

Grundsätzlich schreibt das Vergaberecht den Stellen der öffentlichen Hand eine bestimmte Vorgehensweise beim Einkauf von Gütern und Leistungen vor. In einem förmlichen Vergabeverfahren haben sie die Waren und Leistungen, die sie beschaffen wollen, im Grundsatz öffentlich auszuschreiben. Sofern die Kosten für die geplante Beschaffung einen bestimmten Wert, den sog. EU-Schwellenwert, überschreiten, muss das Vergabeverfahren europaweit geführt und Mindestfristen beachtet werden – eine zeitnahe, unkomplizierte Beschaffung wird dadurch oftmals erschwert.

Zwar bestehen bereits für bestimmte Situationen Ausnahmeregelungen von den vergaberechtlichen Vorgaben. Jedoch herrscht im Einzelfall Unsicherheit, wann und in welchem Umfang diese Ausnahmesituationen gegeben sein müssen. Dies liegt u.a. daran, dass in den Regelungen unbestimmte Rechtsbegriffe wie „unvorhergesehenes Ereignis“ oder „äußerste Dringlichkeit“ verwendet werden. Eine sichere und verlässliche Rechtsgrundlage fehlt bisher laut Bundesregierung. 

Die Schwierigkeiten des Vergaberechts in Krisensituationen traten auch in der Hochwasserregion in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hervor. In kürzester Zeit mussten Gerätschaften angeschafft und Unternehmen mit dem Wiederaufbau von Infrastrukturen beauftragt werden. Unter den Verantwortlichen in den Kommunen vor Ort bestand oft Unsicherheit, inwieweit der Katastrophenfall von den strengen Vorgaben des Vergaberechts befreit. In einem Rundschreiben an die Länder und kommunalen Spitzenverbände hat das Bundeswirtschaftsministerium klargestellt, dass die betroffenen öffentlichen Stellen Leistungen schnell und verfahrenseffizient beschaffen können. Bei Auftragsvergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte sei dies insbesondere über das sog. „Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb“ möglich, sofern damit akute Auswirkungen der Flut bewältigt werden sollen. Angebote könnten formlos und ohne Vorgaben konkreter Fristen eingeholt werden. Dies soll vor allem für die Absicherung von standsicherheitsgefährdeten Bauwerken, bei der Beschaffung von Notstromaggregaten, mobilen Unterkunftsräumen und Behelfsbrücken gelten. Unter bestimmten Umständen könne dann auch nur ein Unternehmen angesprochen werden.

Mit dem Ziel, in künftigen Not- und Krisensituationen besser reagieren zu können, hat sich das Bundeswirtschaftsministerium nun an die EU-Kommission gewandt. In seinem Schreiben fordert Bundeswirtschaftsminister Altmaier, das Vergaberecht zu vereinfachen. Der Einsatz eines vergaberechtlichen Kriseninstruments soll nach seiner Vorstellung „streng auf einen im Voraus festgelegten Zeitraum begrenzt sein, der verlängert werden kann, wenn die Not- oder Krisensituationen fortbestehen“. Die Befreiungen von den Vorschriften der öffentlichen Vergabe sollten dabei auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen und auf ausgewählte öffentliche Stellen begrenzt werden.

Welche Reaktion das deutsche Schreiben bei der EU-Kommission hervorruft und ob eine katastrophenbezogene Vereinfachung des Vergaberechts wirklich umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.

Diesen Beitrag hat unser Kooperationspartner, die Kanzlei DAGEFÖRDE Öffentliches Wirtschaftsrecht, verfasst, die für die Inhalte verantwortlich ist und für Rückfragen gern zur Verfügung steht.

Autor: Florian Bretzel (DAGEFÖRDE Öffentliches Wirtschaftsrecht)

Der Bund kauft künftig klimafreundlich ein

Einweggeschirr, Getränke in Einwegverpackungen, Heizpilze sowie weitere klimaschädliche Produkte dürfen von den Stellen des Bundes ab dem Jahr 2022 nicht mehr beschafft werden.

Das wachsende Klimabewusstsein wird sich künftig deutlicher im Vergaberecht widerspiegeln: Das Bundeskabinett beschloss am 15. September 2021 die Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima), die für die Beschaffung des Bundes gilt und am 01. Januar 2022 in Kraft treten wird.

Die AVV Klima stellt eine Fortentwicklung der bisher geltenden Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung energieeffizienter Leistungen (AVV EnEff) dar. Danach waren Bundesbehörden seit dem Jahr 2008 dazu verpflichtet, beim Einkauf besondere Kriterien zur Energieeffizienz einzuhalten. Die AVV Klima geht darüber hinaus und setzt Vorgaben des § 13 Abs. 2 Bundes-Klimaschutzgesetzes um, wonach der Bund zur Prüfung verpflichtet ist, wie er „bei der Planung, Auswahl und Durchführung von Investitionen und bei der Beschaffung (…) jeweils zum Erreichen der nationalen Klimaschutzziele“ beitragen kann.

Nach den Normen der AVV Klima müssen Bundesstellen im Rahmen des Vergabeverfahrens künftig solche Leistungen prüfen, berücksichtigen und bevorzugen, durch die das Ziel der Minderung von Treibhausgasemissionen zu den geringsten Kosten erreicht werden kann (§ 2 AVV Klima). Die Mehraufwendungen, die bei der Beschaffung dieser Leistung entstehen, dürfen dabei nicht außer Verhältnis zu dem Beitrag zur Treibhausgasminderung stehen (§ 2 Abs. 2 S. 3 AVV Klima).

Außerdem enthält die AVV Klima in ihrer Anlage 1 eine sog. Negativliste: Dort werden Leistungen aufgeführt, die nicht mehr beschafft werden dürfen – außer dies ist aus Gründen des öffentlichen Interesses dringend geboten. Dazu zählen u.a. Getränke in Einwegverpackungen, Einweggeschirr und -besteck in Kantinen und bei Großveranstaltungen, Heizpilze sowie Produkte, bei denen der Anbieter nicht zusichert, dass kein Mikroplastik im Sinne des europäischen Rechts enthalten ist.

Über ihre Beschaffung könne die öffentliche Hand wesentlich dazu beitragen, innovative und klimafreundliche Produkte sowie Technologien voranzutreiben, so der Bundeswirtschaftsminister Altmaier. Durch den künftig klimafreundlichen Einkauf gehe der Bund – dessen jährliches Beschaffungsvolumen laut OECD bei bis zu 100 Mrd. Euro liegt – mit gutem Vorbild voran und leiste dadurch einen wichtigen Beitrag für mehr Klimaschutz und zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen.

Diesen Beitrag hat unser Kooperationspartner, die Kanzlei DAGEFÖRDE Öffentliches Wirtschaftsrecht, verfasst, die für die Inhalte verantwortlich ist und für Rückfragen gern zur Verfügung steht.

Autor: Dr. Angela Dageförde (DAGEFÖRDE Öffentliches Wirtschaftsrecht)